„Typen wollen immer, was sie nicht haben können. Wir sind Spieler.“ Der rotblondbärtige Mann sieht mich über seine Bierflasche hinweg schulterzuckend an und nimmt dann einen Schluck aus seinem Jack Black. Ich zucke ebenfalls mit den Schultern: „Tja. Männer sind eben manchmal Idioten.“ Ja, es geht um die Liebe.

Wir sitzen schon seit gefühlten Stunden hier in dieser Bar namens „Rafikis“ irgendwo in Cape Town und reden. Nur, weil wir uns nicht kennen und nie wiedersehen, können wir unsere Herzen komplett nach außen stülpen. Ich weiß nicht mal mehr, wer hier wen angesprochen hat und warum.

Ich weiß aber: Es ist eine dieser diffus wichtigen Einmal-Begegnungen.

Er erzählt mir seine Geschichte

Von seiner Ex-Frau. Der einzigen Frau, die ihn je verlassen habe. Fast zwei Jahre sei es jetzt her und obwohl er wisse, dass sie nicht kompatibel waren, hinge ein Teil von ihm an ihr. „Es war nicht nur Gewohnheit. Es war… ich weiß nicht, was. Sie hat mich täglich angekotzt. Aber plötzlich wollte ich sie unbedingt zurück“, sagt er. Ich beobachte, wie sein Finger das Etikett abnibbelt und murmele, einen Schatten verjagend: „Ego.“

Ich erzähle ihm meine Geschichte

Einen Teil davon. Von meinem Ex-Mann. Von Trennung im so genannten gegenseitigen Einvernehmen. Von fast 10 Jahren gemeinsamen Erwachsenwerdens. Von Entfremdung und Einsamkeit zu zweit. Von Bruder-und-Schwester-Leben, tiefer Freundschaft und der größten Niederlage meines Lebens.

Und davon, dass mein Herz ein Hundebaby ist. „Wie jetzt – so süß oder was?“ Seine braungrünen Augen sehen mit den Lachfältchen rundum aus wie kleine Sonnen. Er ist älter als ich, nicht viel. „Nein. So treudoof.“ Ich lächle zurück. Die Bierflaschen klirren verständnisvoll, als wir anstoßen. Die Bar ist inzwischen voll mit Surfern und Globetrottern, im Hintergrund läuft Mumford & Sons.

Das Leben ist zu kurz

Wir sitzen uns gegenüber und stecken die Köpfe näher zusammen. „Wenn ich jemanden liebe, dann mit ganzem, offenem Herzen. Das Leben ist zu kurz für Scharaden“, sage ich zu seinem halbbemützten Ohr und rieche Hilfiger. „Wenn ich die Wahl hätte zwischen ‚mich selbst schützen‘ und ‚von ganzem Herzen lieben und Schmerzen haben‘, nähme ich immer b.“ Er streicht durch seinen Fünftagebart. „Mhm. Ist vielleicht echt nicht das Klügste. Aber das ist wenigstens echt.“ Ich schnaube. „Ja, echt blöd.“

Zurück zur Ehe. „Ich glaube, es braucht eine gewisse Grundkompatibilität, damit es auf Dauer funktionieren kann.“ Er nickt. „Ich bin ein Chaot, eine Nachteule. Sie war eine Pedantin UND Frühaufsteherin. Wir hatten ständig Streit. Nicht nur deswegen.“
Ich erzähle von meiner Mitbewohnerin und dass das Leben mit ihr so entspannt sei, weil wir in entscheidenden Dingen gleich getaktet seien. Wenig Reibungsfläche. „Klar kann man das nicht mit einer Beziehung vergleichen. Aber wenn man im Zusammenleben keine Energie auf Bullshit verschwenden muss, bleibt mehr Platz für Glück und Liebe.“

Kann Monogamie funktionieren?

Da sitzen wir – gebrandmarkte Fremde, die die Ehe scheiße finden – am Ende der Welt und philosophieren. Ob Monogamie generell funktionieren könne, will er wissen. Ich zwirbele eine der leeren Flaschen auf dem Holztisch herum und überlege.
„Ja. Wenn zwei Individuen sich auf Augenhöhe begegnen und sich bewusst füreinander entscheiden, ohne sich zu brauchen, kann‘s klappen. Respekt ist das Wichtigste, glaube ich. Und Mut. Weil, wenn man sich für jemanden entscheidet, entscheidet man sich gegen alle anderen. Und zwar jeden Tag immer wieder. Das ist nicht mehr trendy. Man könnte was verpassen. Es gibt ja unendliche Optionen. Besonders dank Internet. Du weißt schon – Facebook und so. Boah, wie mich das manchmal aufregt.“

Natürlich erwähne ich auch Edda, der norwegischen Psychologiestudentin im Wohnheim in Buenos Aires, die eine Beziehung mit zwei Kolumbianern im Haus hatte und mir erklärte: „Es ist egoistisch, der oder die einzige sein zu wollen. Man kann nicht erwarten, dass ein Mensch alle Ansprüche und Bedürfnisse permanent erfüllt.“
Er grinst. „Klingt doch vernünftig. Sieht sie gut aus?“

Ich werfe einen Bieretikettschnipsel nach ihm.

„Das kann nicht der Anspruch sein, dass der andere all meine Bedürfnisse erfüllt. Und natürlich kann man sich nicht permanent glücklich machen. Aber darum geht’s doch auch gar nicht. Es geht um Partnerschaft, um Commitment. ‚Ich will dich, weil ich an dich und uns glaube.‘ Und wenn ICH liebe und erfüllt bin, kann ICH problemlos treu sein. Dann will ich das auch von meinem Partner. Bämm.“

Er hat sie betrogen

Kurze Stille. Er habe sie betrogen während ihrer gemeinsamen Jahre, grummelt er und guckt an mir vorbei. Geständnisse, die man am ehesten Fremden macht. Ob sie’s wusste? „Glaub‘ schon. Sie ist nicht dumm.“ Ich umfasse mein Jack Black mit beiden Händen. „Also, ich würde nicht zuhause rumliegen wollen und wissen, dass mein Mann grad Sex mit einer anderen Frau hat. Ich will nämlich die Königin sein!“ Darauf stoßen wir an, mit dem letzten Schluck. „Einen in der Krone haben reicht für den Anfang vielleicht schon.“

Stichwort. Er steht auf und holt zwei neue. Seine Jeans sind grauverwaschen und halbbaggy und sein Karohemd ist lang. Er könnte also einen prima Hintern haben. Oder keinen. Egal. „Für Ihre Majestät“, sagt er, während er sich auf den Stuhl fallen lässt. „Ach, komm – was soll ich denn machen? Ich kann eben nicht gut teilen. Ich will die erste Geige spielen. Aber das mache ich dann auch sehr, sehr gut.“

Wir teilen unsere Träume

Er erzählt von seinem Traum, vom Musik zu machen endlich leben können. Wie unzählige andere. „Bock auf Berühmtsein und Groupies?“ Er rückt seine Wollmütze zurecht. „Das wäre doch ein netter Nebeneffekt.“ Ein langer Schluck für mich.
„Ich hätte ja Probleme mit einem Mann, der in der Öffentlichkeit steht. Vielleicht fehlt mir dafür das Selbstvertrauen.“
Seine Sonnenaugen mustern mich. „Vollkommen zu Unrecht, Frau Königin.“ Oho.

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Flirtmode: On.

Das Bier verlangt Tribut, ich entschuldige mich. Beim Händewaschen schaue ich auf und sehe eine erwachsene Frau: Nasolabialfältchen, einzelne graue Haare, Pigmentflecken (ich bevorzuge: Sommersprossencluster), winziger Sonnenbrand auf der schiefen Nase, ein ernster Blick unter schwarzen Wimpern. Die da im Spiegel ist… beinahe cool. Ts. Ich muss lächeln. Breit mit rotem Lippenstift – meinem einzigen Accessoire heute Abend.

Als ich zum Tisch zurückkomme, sieht er mich an. Und lächelt ebenso breit. „Für eine Frau mit deinem Tiefgang siehst du ganz schön umwerfend aus.“ Ich ignoriere, dass das keinen Sinn ergibt, bleibe stehen und blicke runter auf das Loch in meinen Ballerinas. „Was du meinst ist abgefuckt.“ Ich nestele verunsichert an meinem schwarzen Jerseykleid. Sieht man wohl die Kompressionshose? „Nein. Es ist die Art wie du dich bewegst, wie du strahlst, dein offener Blick. Und … äh… dein waffenscheinverdächtiger Mund.“ Er checkt mein Stirnrunzeln und lacht. „Komplimente ist nicht so deins, was?“ Ich knalle ihm das Bier auf den Tisch. „Das, Herr Surfgott, kommt ganz drauf an.“

Wie mein Traummann sein sollte?

Wir reden über Selbstvertrauen, die guten und schlechten Seiten von Egozentrik, über Seelenverwandtschaft (ein Fluch!) und die perfekte Partnerschaft. „Wie muss er denn so sein, dein Traummann?“ fragt er, ein Bierschaumflöckchen in seinem Bart. Wir sind auf Gläser umgestiegen. „Ich glaube, ich brauche jemanden, der mir Raum zum Atmen und Zeit für mich gibt, aber nie meine Hand loslässt. Ein bester Freund, aber eben mit verliebt und Sex.“

„Und was findest du sexy? Bärte?“ fragt er zwinkernd. Ich überlege. „Ich habe auf dieser Reise was festgestellt“, sage ich dann. „Klar habe ich eine Art Beuteschema. Aber was mich echt fasziniert: Wärme in den Augen. Wenn ich sehen kann, dass jemand ehrlich interessiert, weltoffen und authentisch ist. Wenn ich in den Augen erkennen kann, dass jemand ein großes, weiches Herz und keine Scheu hat, es zu zeigen.“ Ich mache wieder eine Pause.
„Im Grunde will ich jemanden, der auf die Frage ‚Wer bist du?‘ eine halbwegs überzeugende Antwort hat. Der Rest findet sich.“

Er sieht mich mit bierseligem Blick an und sagt: „Du, Frau Königin, bist echt ein Hauptgewinn.“ Ich erwidere seinen Blick. „Mag sein, Herr Surfgott. Aber leider spiele ich nicht.“


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