Müde wirken sie, aber auch stolz – meine Sneakers haben viel gesehen. Ich baumele irgendwo in Kapstadt in einer Hängematte und betrachte meine Turnschuhe. An der rechten Spitze hat sich mein großer Zeh schon vor Monaten durch das Wildleder gegraben und lugt an die Luft; der Linke braucht noch ein wenig Zeit. 

Aber Zeit haben meine Adidas Neo und ich nicht. In zwei Tagen ist unsere Weltreise zu ende. Als ich sie im Oktober 2012 kaufte, hatten sie keine Ahnung, worauf sie sich einliessen. Sie dufteten neu, nach Rauleder, ein bisschen auch nach Klebstoff; sie waren dunkellila, samtig und weich. Und voller Vorfreude auf ein entspanntes Sneakerleben.

Jetzt sind sie schrabbelig, löchrig, abgerockt und nur noch blassviolett. Regen, Staub, Sonne, Schlamm, Bier und Eis aus der ganzen Welt hinterließen Spuren. Und natürlich die Märsche. Die ungezählten Kilometer.

Darum sind meine Sneakers Helden:

Sie gingen auf der Suche nach Internet in New York fast eine Stunde lang vom Apartment in Nolita zu Starbucks am Union Square, weil wegen des durch Hurrikan Sandy verursachten Stromausfalls die Bahnen nicht fuhren. Sie marschierten über die Brooklyn Bridge und hörten mich über das Gewicht meines Rucksacks fluchen.

Sie flohen in New Orleans in einem PBR-Biertruck vor dem „Creepy Guy“ und wandelten fasziniert zwischen Voodoo-Shops und Jazz-Clubs. Sie traten in einer nicht ungefährlichen Hood Miamis in die Fahrradpedale und bestaunten Streetart.

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Sie kraxelten in Mexiko auf Ruinen von Maya-Pyramiden und entspannten sich in meinen Händen, als ich meine nackten Füße den Sand spüren ließ. Sie fuhren in Kuba in einem 59er Buick spazieren. Sie liefen den ganzen Malecón runter, vom Hotel Nacional zur Plaza Vieja. Sie tanzten Salsa in Trinidad, entwischten in Santiago de Cuba den hartnäckigen Jineteros und wurden mehrfach in Rum getaucht.

Sie flanierten an der Promenade Ipanemas entlang und wurden von Rios Sonne liebevoll ausgeblichen; sie ekelten sich vor den Dixiklos beim größten Bloco in Santa Teresa. Sie tanzten bei Tijucas Ensaio Técnico im Sambódromo im strömenden Regen Samba. Sie stiegen in Vidigal die Hänge der Dois Irmãos hoch und runter; sie stapften durch den beißend stinkenden Müll Rocinhas, um Favela-Kindern eine Choreographie beizubringen. Sie absorbierten tröpfchenweise Antarctica-Bier und Mango-Caipirinha.

Sie balancierten in Salvador da Bahia auf Kopfsteinpflasterhügeln des Pelourinhos und gingen für eine Sommernacht im Gleichtakt neben einem Mann. Sie schlenderten in São Paulo durch das wohl luxuriöseste Einkaufszentrum Brasiliens und zeigten den Louboutins trotzig ihre Löcher. Sie tanzten Tango in Buenos Aires an der Plaza Glorieta und wippten im Café „Le Marais“ ansonsten täglich unausgelastet unterm Tischchen, während ich mein Herz leer schrieb.

Sie schritten in Kapstadt die Long Street ab und belächelten die blitzsauberen Sneakers der „Cool Kids“. Sie standen im Staub der Townships und starrten auf abgetrennte Schafsköpfe. Sie tanzten in einer Kirche. Sie blieben vor Mandelas Zelle stehen und fühlten echte Enge.

Sie wanderten durch den Tsitsikamma-Nationalpark und balancierten über wacklige, moosige Steine in flachen Flussbetten. Ohne einen einzigen Ausrutscher. Sie trugen einen surfmüden Körper samt Board den Hügel in Cintsa hoch. Sie reckten sich auf einer Safari übermütig dem müden Löwen entgegen. Sie kletterten auf den Tafelberg – und machten längst nicht mehr vorhandenes Profil mindestens durch Zähigkeit wett. Vielleicht sogar durch eine Seele.

Und in wenigen Tagen werden meine Sneakers ein weitgereistes Herz nach Hause tragen. Ein letztes Mal stolz ihre mürben Furchen und Löcher zeigen. Die Treppen in den vierten Stock hoch. Und dann werden sie eingerahmt, mit Plakette.

Denn sie sind nicht einfach nur Schuhe. Sie sind Helden.

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