Ich gebe nicht auf. Keine Ahnung, wie oft ich es schon versucht habe – aber diesmal bin ich ganz nah dran. Das spüre ich. Dieses hippe Berlin – dieses vibrierende, mitreißende, schrabbelige Kreativmekka, das Menschen auf der ganzen Welt fasziniert – das muss hier irgendwo sein.

Ich friere an einem Bahnhof, der sich „Ostkreuz“ nennt und auch genau so aussieht. „Fifty Shades Of Grey“ – das SM stünde hier für „sozialistisches Mauerwerk“. Jede Betonpore, jeder farblose Sandstein brüllt mir „Ostblock“ ins Auge; sogar das Holz  hat die Farbe von Wolken. Die Bahnhofskulisse verwischt mit dem Novemberhimmel.

Vielleicht muss man innen drin ein bisschen traurig sein, um dieses Berlin zu finden, denke ich.

Selbstverständlich steige ich in die falsche S-Bahn – zum dritten Mal an diesem Tag. Das gehört, so sagte man mir, in Berlin dazu. Im fast antiken Waggon riecht es nach Kokosnuss und Kotze. Ich lasse mich auf einen freien Platz plumpsen und atme in meine Jacke. Die Sitze sind längs angeordnet, wie in New York oder Buenos Aires. Ist es das, was die Leute mit Weltstadtflair meinen?

Ich beäuge die Menschen. Weder sind sie trendgemäß heruntergekommen, noch außergewöhnlich schick. Sie tragen begürtelte Daunenmäntel mit Kunstpelzapplikation, Bootcut-Jeans zu Stiefeletten und geschlossene Augen. Sie sind wie ihre Tchibo-Schals. Jemand spricht Englisch mit französischem Akzent, ein Mann mit Dutt. Ja, wir fahren Richtung Mitte. Nehme ich an.

Mitte kenne ich, da war ich schon mal. Es ist etwas mehr als ein Jahr her. Wie gesagt: Mit Berlin habe ich es schon oft versucht. Ich spazierte auf einen Hügel in Kreuzberg, ich zwängte mich durch Reihen von Bugaboos in Prenzlberg, ich lustwandelte durch Mitte, durchs Brandenburger Tor, an der Museumsinsel vorbei. Und es war alles… sehr, sehr nett. Doch es ist, als verstecke sich dieses von aller Welt leidenschaftlich geliebte Berlin hinter einer schlierigen Milchglasscheibe vor mir. Aber wieso zeigt es sich den Schwaben, die in Berlin angeblich einfallen wie die Heuschrecken, die Kehrwoche einführen und alles glattgentrifizieren?

Warschauer Straße, ich muss raus. Wieder grau, wieder Treppen. Noch immer keine Hipster, keine Avantgarde. Keine Straßenmusiker, keine Models, keine Performancekünstler. Aber Imbissbüdchen. „Döner – Berliner Currywurst – Glühwein“ prangt, illustriert von hysterisch colorierten Symbolfotos, an einem. Nein Danke, ich will in ein russisches Restaurant. Der Weg dorthin führt vorbei an einem veganen Supermarkt, Streetartschnipseln, Baugerüsten und Tretminen. Ein paar weniger als Zuhause in Hamburg.

Im „Datscha“ werde ich herzlich bedient, sogar mit Lächeln. Überhaupt ist der Berliner zu mir recht freundlich, sagt „Bitte“ und „Danke“ und wünscht mir „schön‘ Tach ooch“. Meine Enttäuschung wächst ins Maßlose: Nicht mal ordentlich angeranzt werde ich!

Bevor ich mich wieder in den ICE nach Hamburg setze, besuche ich noch kurz das digitale Subproletariat im Sankt Oberholz. Mit aufgeklapptem MacBook fühle ich mich sogleich assimiliert. Ich lasse das vergangene Wochenende Revue passieren: Heiratsanträge, Tanzversuche und ein komisches Klavier in der Margarete, innige Gespräche am Kaminfeuer und auf Spaziergängen, Austausch, Umarmungen. Beim letzten Schluck der labbrigen Chai Latte denke ich daran, warum ich überhaupt hergekommen bin: Menschen. Herzen. Inspiration. Und dann taucht es plötzlich vor mir auf, dieses saugeile Berlin, und grinst mich dreckig an. Schön ist es nicht, aber selten.

Vielleicht wird’s ja doch noch was mit uns.

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