Wenn die Welt ein Sturm ist, wenn sich Herz und Beine und Kopf wie Blei anfühlen, wenn nichts mehr geht und selbst das egal ist, dann hilft manchmal ein Ausflug an einen persönlichen Kraftort.

Es gibt Plätze auf der Welt, an denen ist mehr Licht. Auch die Luft scheint ein bisschen leichter, die Moleküle unbeschwerter. Plätze, an denen sich die Seele auf die Parkbank setzen und Enten füttern kann, an denen ein innerer Waffenstillstand herrscht. Plätze, über denen eine feine Häkeldecke aus Friedlichkeit liegt und wo man seinen Atem spürt, ohne keuchen und röcheln zu müssen.

So einen Ort nenne ich Kraftort.

Orte zum Auftanken
Wir alle brauchen Orte zum Auftanken. | © J. Wagener

Diese Orte sehen für jeden Menschen anders aus. Für manche mag es die Tanzfläche im Club sein, für andere ein Strand oder ein Gipfel auf dem höchsten Berg. Eine Hängematte im Garten. Eine Werkstatt. Ein Fitnessstudio. Ein Kloster. Für andere wiederum alles zugleich oder abwechselnd.

Mein persönlicher Kraftort, seit ich in Berlin wohne, ist Potsdam. Genauer gesagt: der Schlosspark von Sanssouci.

Kraftort Sanssouci in Potsdam
© Jessica Wagener

Trauern am Kraftort

Dorthin habe ich nach Omis Tod meinen ersten Ausflug und einen langen Spaziergang gemacht. Ich habe mich in der Schönheit des Parks und der Schlösser verloren, eine Zeitreise gemacht. Die Natur bewundert, das Laub unter meinen Füßen rascheln lassen. Omis Schritte neben meinen gespürt. Geweint. Luft geholt. Geatmet. Meinem Herzschlag gelauscht. Inne gehalten und mich gesammelt, all die wirbelnden Gefühle und Gedanken, den Schmerz und die Wut und die Angst eingefangen und stillstehen lassen. Kurz: Ich habe Kraft getankt.

[Lest auch: Wie erst Leid uns zu den Menschen macht, die wir sind]

Nun fühle ich mich in Gegenwart von Geschichte – von allem, was alt ist – schon seit ich denken kann lebendig und inspiriert. Und Sanssouci ist so weitläufig, so liebevoll gepflegt und so durchdacht angelegt, dass es bei jedem Besuch etwas Neues zu entdecken und zu bestaunen gibt: die Römischen Bäder, den Chinesischen Pavillon, eins der vielen Schlösser, die Gärten…

Selbst an einem sonnigen Wochenendtag, wenn es im ganzen Park vor Touristen und Ausflüglern wimmelt, findet man immer irgendwo ein ruhiges, halb verwunschenes Plätzchen zum Lesen, Käsebrot essen, Geschichten ausdenken, Augen schließen oder Wolken beobachten.

[Lest auch: Frau Haessy schreibt über Rückzugsorte]

Akku wieder halb voll

Ich habe gelernt: Orte voller Schönheit und Frieden, an denen man die Tretmühle aus Gedanken und Gefühlen kurz verlassen kann, sich wegbeamt und so bei sich ankommt, sind wichtig zum Weitermachen. Nicht nur, aber eben besonders in schweren Zeiten. Und es kann nicht ausschließlich die heimische Couch sein, so schön und bequem sie auch sein mag.

Kraftort Sanssouci in Potsdam
© Jessica Wagener

Wenn ich vom Ausflug an meinen Kraftort nach Hause komme, bin ich aufgeladen. Wie ein iPhone mit vollem Akku – oder zumindest mit über 50 Prozent. Es gibt Zeiten im Leben, da ist das deutlich mehr als gedacht. Und muss reichen für den Alltag, bis zum nächsten Mal.

Denn selbst das tapferste Herz braucht zwischendurch Urlaub von Kummer und Sorgen.

PS: Die großartige Claudia Haessy schreibt hier über ihre Rückzugsorte – lesenswert!

Was sind eure Kraftorte, wo tankt ihr auf und warum? Schreibt eure Tipps und Erfahrungen gern in die Kommentare.

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