Liebe Omi,

du bist jetzt seit neunundzwanzig Wochen tot und manchmal habe ich noch Albträume, in denen du noch mal stirbst. Dennoch mich hält so was wie der Tod nicht davon ab, dir zu schreiben, was passiert ist.

Also.

Ich wollte dir Danke sagen, Omi. Ohne dich hätte ich die Idee für eins der wichtigsten und schönsten Projekte meines Lebens niemals gehabt – meinen Podcast „Oma erzählt vom Krieg“, in dem Zeitzeuginnen aus eigenem Erleben berichten, warum wir die EU ebenso brauchen wie Mitgefühl mit Geflüchteten, uns vor Populisten und Populistinnen tunlichst hüten sollten und es nie wieder Krieg geben darf.

So wie du, Omi. Du hast dir das auch immer gewünscht.

Leider habe ich es unter anderem wegen des Podcasts nicht jede Woche geschafft, dir zu schreiben. Aber ich glaube, du bist nicht sauer deshalb. Den Zuhörern und Zuhörerinnen hat es offenbar gefallen:

Hier ist die letzte Folge:

Opi geht es ganz okay. Er ist bloß meistens schläfrig und schlapp und manchmal tüdelig. Aber er wird ja auch bald 87, da darf er das. Vorletzten Samstag habe ich einen ganzen Tag mit ihm verbracht und es war wunderbar. Erst haben wir im Zimmer zusammen Mittag gegessen, dann hat er sich ohne Murren anziehen und in den Rollstuhl setzen lassen (wirklich!); ich bin mit ihm im Garten rumgefahren und dann sogar bis zum Imbiss. Da wollte er ein halbes Brathähnchen UND Pommes, das haben wir uns dann geteilt. Ich habe nur die dünnen, harten Pommes genommen, das meiste hat er weggemupfelt. Einfach so.

Gereicht hat es ihm trotzdem nicht: „Davon wird man ja nicht satt“, motzte er und ich fiel vor lachen fast vom Toilettenstuhl. Nach dem Essen haben wir ein wenig ferngesehen. Ich ließ ihn extra im Rollstuhl und wollte warten, ab wann er sich wieder beschwert, dass ihm der Hintern wehtut. Fast zwei Stunden hat er durchgehalten! Als er schließlich wieder in seinem Bett lag, habe ich das Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Brett geholt und mich dreimal hintereinander von ihm demütigend vernichten lassen.

Es war ein wundervoller, richtig schöner Tag mit Opi. Es hätte dir gefallen, Omilein.

Er vermisst dich aber trotzdem sehr. Jeden Tag. Unvermindert. Kein Wunder nach 61 Jahren Ehe.

Ach, bevor ich’s vergesse: Ich habe eine Hose genäht! Also, okay, ich habe das in einem Nähkurs getan und hatte permanente Aufsicht und Hilfe dabei, aber trotzdem. Guck:

Und dann wollte ich noch sagen, dass dein Berlin-Besuch inzwischen ein Jahr her ist. Ich habe nichts davon vergessen. Nicht die Schlemmerei mit Erna im KaDeWe, nicht die Caipi, von der du sagtest: „Das schmeckt ja nach Benzin! Wer trinkt denn so was?“ Nicht, wie gut du die Treppen zu meiner Wohnung hochgekommen bist. Nicht unsere Snapchat-Faceswap-Filter-Session. Nicht den Borschtsch, den wir – satt wie wir waren – nur bestellt haben, damit wir sagen konnten, dass deiner viel besser schmeckt. Nicht, wie viel Spaß dir die Bahnfahrt mit dem Rollstuhl gemacht hat. Und erst Recht nicht das Sonntagsfrühstück, bei dem du ein paar meiner Freunde kennengelernt und drei Sorten Lachs gegessen hast.

Ich vermisse dich.

Okay, Omi. Das war’s soweit von mir. Ich hoffe, es geht dir gut da oben, du machst dir nicht so viele Sorgen um uns und kannst auf Wolke Sieben jeden Tag Lachs essen. Bis nächste Woche dann.

Deine Jessi


[Lest auch Brief an Omi, Nr. 24: Das Band zwischen uns wird nicht schwächer]

[Lest auch Brief an Omi, Nr. 23: Ich habe deinen Einkaufs-Chip verloren]

[Lest auch Brief an Omi, Nr. 22: Wenn Opi denkt, es geht zu Ende]


Und wer die Vorgeschichte von Omi und Opi, so einige von Omas markanten Sprüchen und Weisheiten lesen und wissen will, wie es zu allem kam, der kann Wir geben Opa nicht ins Heim! Unser Jahr zwischen Wunsch und Wirklichkeit hier bestellen. Ich würde mich freuen!