Runde Türmchen, graue Mauern, eckiger Turm mit Zinnen und wehendes Fähnchen – wenn ich als Kind ein Schloss gemalt habe, dann sah es genau so aus wie Inveraray Castle.
Es ist der Inbegriff des romantischen Disney-Schlösschens. Was auch der Grund sein dürfte, warum Inveraray Castle am Ufer von Loch Fyne im Westen Schottlands öfter mal Gastrollen in Film und Fernsehen übernimmt.
Zum Beispiel im schottischen Weihnachtsfilm A Castle for Christmas mit Brooke Shields auf Netflix – das Schloss steht im Film halt ganz am anderen Ende Schottlands, aber wer will sich in schönen Schnulzen schon mit geografischen Spitzfindigkeiten aufhalten?
Inveraray Castle taucht allerdings auch unter dem Pseudonym Duneagle Castle in Downton Abbey auf. Oder im Bond-Film Skyfall. Und in A Very British Scandal.
Anders ausgedrückt: Wenn Inveraray Castle eine Person wäre, dann wohl ein semi-prominenter Filmstar. Und zwar einer, der im Laufe der Zeit ziemlich was an sich machen lassen hat.
Der lange Weg zum romantischen Schloss
In seiner Jugend in der Mitte des 15. Jahrhunderts war Inveraray Castle nämlich nur eine Befestigungsanlage, errichtet von Sir Duncan Campbell als Sitz seines Clans.
Erst 300 Jahre später, Mitte des 18. Jahrhunderts, begann diese Befestigungsanlage ihre Karriere als Schloss. Damals baute sich der 3. Duke of Argyll, Archibald Campbell, ein standes- und zeitgemäßes Häuschen. Inklusive umfassenden Garten- und Landschaftsbaus, Brücken und Kanälen und na ja, der Versetzung des Ortes Inveraray vom aktuellen Standort ein Stück weiter nach Süden.
Mehr als 40 Jahre dauerte die Fertigstellung. Gut Schloss will eben Weile haben!
Als der spätere 9. Duke im Jahr 1871 eine der vielen Töchter von Queen Victoria ehelichte, wurde ein neuer Eingang angebaut und hie und da ein wenig rumrenoviert. Nur sieben Jahre später brach ein Feuer im Schloss aus und zerstörte einen Großteil von Inveraray Castle. Doch des einen Tragödie ist des anderen Gelegenheit für Modernisierung.
Sein Vater, der 8. Duke, nahm die Chance wahr und ließ seinen Architekten Anthony Salvin runde Türmchen und ein weiteres Stockwerk anbauen. Knapp 100 Jahre später – 1975, um genau zu sein – gab’s wieder einen Brand, dabei wurde das Obergeschoss zerstört. Und wieder aufgebaut.
Waffen und Wurzelsuche im Inveraray Castle
Seit 1953 ist Inveraray Castle für die Öffentlichkeit zugänglich, sieben Monate im Jahr. Obwohl die Familie des aktuellen 13. Duke und Clan Chiefs der Campbells – Torquhil Ian Campbell – weiterhin im Schloss wohnt. Der Teil ist logischerweise privat.
Ich bin mal wieder zu Besuch bei Freund*innen in Dunoon und weil, wie so oft in Schottland, längeres Spazierengehen wetterbedingt flachfällt, fahren wir kurzerhand am malerischen Loch Eck vorbei zum Inveraray Castle.
Beim Betreten der über 20 Meter hohen Eingangshalle fallen mir drei Sachen auf: Waffen – viele, viele historische Waffen überall, – ein erstaunlich mediterranes Ambiente für ein Schloss im schottischen Barockstil und eine lange Parade amerikanischer Tourist*innen.
Letzteres ist wenig überraschend. Die Campbells waren jahrhundertelang einer der mächtigsten Clans Schottlands und auch später zunehmend in britische Staatsangelegenheiten eingebunden.
Nach der Union of Parliaments 1707 durfte Schottland im Empire und beim Handel mit den Kolonien mitmischen und vor allem den globalen Süden und die dortigen Menschen ausbeuten. Das ließen sich auch viele der Campbells nicht zweimal sagen. Oder, wie mein Kommilitone Grant (selbst ein halber Campbell) immer mal wieder einwirft: „Es gibt mehr Leute mit dem Namen Campbell auf Jamaika als in Schottland.“
Das hängt logischerweise mit einem der finstersten Kapitel des Kolonialismus zusammen: der Versklavung von Menschen und Auslöschung ihrer kulturellen Identität und Herkunft. Hier gibt’s mehr Infos und Projekte zum Thema Schottland und Versklavung von Menschen. Lohnt sich, da mal reinzulesen.
Jedenfalls sind Schott*innen überall in die Welt emigriert. Einige freiwillig auf der Suche nach Profit und einem neuen Leben, andere wurden zwangsweise aus ihrem Zuhause entfernt – wie beispielsweise während der Highland Clearances.
Und deshalb begeben sich heute so viele Menschen mit dem Nachnamen Campbell auf die Suche nach ihren Wurzeln zum Sitz des Clans, keine 100 Kilometer vor den Toren Glasgows. „Es gibt viele Millionen Campbells, die über ganz Nordamerika und Kanada, Australien und Neuseeland verstreut sind, und Inveraray ist ihre emotionale Heimat“, meint auch der aktuelle Duke.
Bridgerton-Moment und Parkplatz-Picknick
Neben der exorbitanten Waffensammlung, der riesigen Schlossküche voller Kupfertöpfe, der vielen Wandteppiche und pastelligen Wandbemalungen im Pariser Stil des späten 18. Jahrhunderts finde ich das gigantische Portrait von Queen Charlotte besonders beeindruckend.
Bridgerton-Fans wissen, von wem die Rede ist!
Mein eigentliches Highlight ist aber unser kleines Picknick auf dem Parkplatz. Natürlich im Auto, während es unaufhörlich und lautstark aufs Dach prasselt. „Das haben wir in meiner Kindheit ständig so gemacht“, sagt mein Freund Ben.
Das ist eben eines der vielen schönen Dinge in Schottland: Wenn es schüttet, ist Flexibilität gefragt – und im Zweifel wartet immer irgendwo ein trockenes Schlösschen darauf, erkundet zu werden. Voller Geschichte und Geschichten.
Also. Wer sich für schottische Clan-Geschichte interessiert und/ oder einen heimlichen Hang zu Kitsch und Romantik hat, darf das Disney-Schlösschen Inveraray Castle auf keinen Fall verpassen. Egal, wie das Wetter ist.
In meinem kleinen Ratgeber Nach Schottland Auswandern steht alles, was ich bisher über mein neues Heimatland gelernt habe:
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