Weihnachten ist das ultimative Familienfest. Aber was, wenn die Familie zerrüttet ist? Dieser Text ist für alle, die aus Selbstschutz Weihnachten ohne Eltern feiern.

Jedes Jahr machen sich ganze Menschenmassen auf den Weg, um das Weihnachtsfest mit und bei ihrer Familie zu verbringen. Driving Home for Christmas und so.

Vor allem zurück nach Hause – zu den Eltern – ist ein wichtiger Teil davon. Oft sind Familien so verteilt oder verpatchworkt, dass ein Großteil der Feiertage im Zug, Auto oder Flugzeug stattfindet. Heiligabend bei Mutti, ersten Weihnachtstag bei Papa und Oma I, zweiter Tag bei den Schwiegereltern und Oma II… Und irgendwo zwischen „Nein, ich esse immer noch kein Fleisch – auch kein Huhn“ und unerfreulichen Diskussionen über Politik und Impfstoff-Nebenwirkungen zerbröselt die erhoffte Besinnlichkeit wie Spekulatius.

Doch es gibt da auch noch die anderen. Die, die zu Weihnachten eben nicht nach Hause fahren.

Weil ihre Eltern nicht mehr leben, zum Beispiel. Weil sie nicht genug Geld für die Anreise haben. Weil sie in Zeiten einer Pandemie lieber vorsichtig sind. Oder aber, weil sie sich aus Selbstschutz von diesem Teil ihrer Familie lösen mussten.

Und deshalb Weihnachten ohne Eltern feiern.

Das kann das Herz ziemlich schwer und die Feiertage ziemlich hart machen. Denn Eltern-Kind-Beziehungen sind kompliziert. Alle Menschen haben das Bedürfnis, von ihren Eltern geliebt und akzeptiert zu werden. So wie sie sind. Wenn das aus unterschiedlichen Gründen nicht der Fall ist, dann sitzt so eine Verletzung tief und begleitet einen Menschen ein Leben lang.

Wenn der Kontakt zu den Eltern mit Panikattacken, anhaltenden Albträumen, Wutanfällen, Tränen oder emotionaler Erschöpfung einhergeht, dann ist Abgrenzung nötig. Das fällt niemandem leicht. Sie kostet Kraft, Tränen und Zeit. Sie tut weh.

Und kann eben mitunter auch dazu führen, Weihnachten ohne Eltern zu verbringen.

Grenzen ziehen ist aber wichtig und richtig. Auch bei Eltern. Auch, wenn sie deshalb wütend werden oder sich gekränkt fühlen. Unter Umständen ein weiteres Zeichen dafür, dass diese Grenzen notwendig sind.

Grenzen ziehen gehört zur Selbstfürsorge. Dabei können sie physischer, materieller oder emotionaler Natur sein, eher flexibel oder felsenfest, vorübergehend oder dauerhaft. Sie helfen dabei, emotional und mental stabil und ausgeglichen zu bleiben. Durch persönliche Grenzen wird definiert, welches Verhalten von anderen akzeptabel ist – und welches auch nicht.

Weihnachten ohne Eltern

Das Problem ist, dass besonders um Weihnachten herum die Sehnsucht nach Familie, Geborgenheit, Zugehörigkeit und Versöhnung – nach den wenigen schönen Momenten von früher, wie es war, wie es hätte sein können, wie es sein sollte – überwältigend werden kann.

Im Licht weihnachtlicher Nostalgie glänzen muckelige Erinnerungen umso heller, der ganze schmerzhafte Schmodder verblasst. Vielleicht hoffst du, dass sich der Elternteil endlich geändert hat, ein bisschen jedenfalls, genug für Weihnachten wenigstens.

Aber in so einer komplizierten, konfliktbehafteten Beziehung kann eine Seite nicht für alles allein verantwortlich sein. Aller Sehnsucht und Hoffnung zum Trotz. Keine*r kann allein Kompromisse schließen, das ist ungesund. Für aufrichtige Annäherung und echte Versöhnung braucht es beide Seiten. Dazu gehört eine ausgestreckte Elternhand, ein ehrliches „Ich habe Mist gebaut. Ich kann das nicht wieder gut machen. Es tut mir leid“.

Wenn das nicht kommt, wenn toxische Beziehungsmuster aufrechterhalten und verletzende Verhaltensweisen wiederholt werden, dann kommen zwangsläufig die alten Vorwürfe, Konflikte und Wunden wieder hoch. Auch und gerade rund ums Fest.

Grenzen sind okay

Deshalb: Es ist okay, Grenzen zu ziehen und einzuhalten. Es ist okay, Weihnachten ohne Eltern zu feiern – vor allem, wenn das für dein emotionales Überleben notwendig ist.

Wenn Menschen dir – egal, ob absichtlich oder unbewusst – das Gefühl geben, nicht liebenswert zu sein, dass mit dir etwas nicht stimmt, dass du nie genug oder immer zu viel und grundsätzlich falsch bist, dann ist es dein gutes Recht, dich von ihnen fernzuhalten. Es ist sogar deine Pflicht: Du musst auf dich aufpassen und dich schützen.

Du schuldest niemandem mehr, als du zu geben bereit bist.

Du musst keine überzogenen Erwartungen anderer an dich erfüllen.

Deine Bedürfnisse sind nicht weniger wichtig als die von anderen.

Du bist nicht der Blitzableiter für den emotionalen Ballast deiner Eltern.

Du darfst ohne Schuldgefühle nein sagen.

Du hast ein Recht darauf, respekt- und rücksichtsvoll behandelt zu werden.

Wütend und traurig sein ist okay. Und es ist auch okay, wenn du deine Eltern trotzdem liebst und vermisst. Oder auch nicht. Wie gesagt: Es ist kompliziert. Außerdem können mehrere Gefühle gleichzeitig nebeneinander und übereinander existieren.

Eltern sind auch nur Menschen – und manchmal Arschgeigen

Eltern sind nicht nur Eltern, sondern auch Menschen, sehr wahrscheinlich mit ihrem eigenen Riesen-Rucksack voller unbearbeiteter Probleme und Traumata. Das macht es – worin auch immer die Verletzung besteht – bei Weitem nicht wieder gut, aber möglicherweise erklärt es das ein bisschen und das wiederum hilft beim Heilen.

Manchmal bekommen Kinder nicht die Annahme, Liebe, Fürsorge und Unterstützung, die sie brauchen, weil ihre Eltern aus verschiedenen Gründen dazu nicht in der Lage waren oder sind. Vielleicht hatten sie selbst eine schwere Kindheit und Jugend, in der sie nicht genug Liebe, Aufmerksamkeit, Stabilität und Schutz erfahren haben. In der jemand ihnen sehr wehgetan hat. Und haben es nie geschafft, diese Themen und diesen Schmerz zu bearbeiten und zu heilen. Oder sie hängen in starren Mustern fest. Oder sie sind in Abhängigkeiten gefangen, aus denen sie nicht rauskommen. Und einige sind einfach Arschgeigen.

Auf jeden Fall müssen sie ihren eigenen Weg im Leben finden. Vor allem müssen sie selbst bereit sein, sich zu entwickeln und zu öffnen. Mehr als Gesprächsbereitschaft signalisieren und dabei deine Grenze ziehen und aufrechterhalten kannst du nicht tun.

Außer eventuell, dir eine Wahlfamilie zu suchen. Freund*innen, andere Verwandte, Partner*innen, Hundkatzemaus. Du kannst neue schöne, weihnachtliche Traditionen entwickeln. Von dir für dich, mit Liebe.

Weihnachten ohne Eltern kann schwer sein. Doch auch, wenn es sich momentan vielleicht nicht so anfühlt: Du bist nicht allein. Und du bist auf dem richtigen Weg. Pass auf dich auf und bleib dabei. <3

 


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