Es gibt für jeden Menschen den richtigen Ort zur richtigen Zeit. Für mich ist das Schottland. Ja, das hat mich zuerst auch überrascht.
„Aber da regnet es nur!“, „Niemand weiß, wie’s nach dem Brexit weitergeht!“, „ES REGNET STÄNDIG!“ sind die häufigsten Reaktionen darauf. Dicht gefolgt von „Da gibt’s doch nur Haggis und Porridge!“ Und natürlich „Äh. Huch?!“
Also hier ein kleiner Erklärungsversuch für mein neues Leben in Schottland:
Sehnsuchts-Ort Schottland
Als Teenager hatte ich eine schwierige Phase, in der ich erst die Highlander-Filme und dann die Highlander-Serie im TV verschlang. Etwas am Mythos Schottland drückte auf einen Sehnsuchtspunkt in meiner Seele. Mit 17 las ich die Outlander-Bücher von Diana Gabaldon und habe sie geliebt. Wegen der nahbaren, für damalige Verhältnisse emanzipierten Protagonistin einerseits, wegen der rau-romantischen Kulisse Schottland andererseits.
Dann kam das Leben und naja, ich wurde erwachsen und kämpfte in diversen persönlichen Cullodens.
Flucht-Ort Schottland
2017, drei Monate nach dem Tod von Opi, wollte ich einfach nur ein paar Tage raus. Ich wollte Wind, der meine Trauer wegweht. Und Regen, der meine Tränen wegwäscht. Ich wollte Burgen und Lochs und alte Gemäuer. Gruselgeschichten und Gespenster, die mir mehr Angst machten als meine eigene Vergangenheit und Zukunft.
Flüge nach Glasgow waren zu der Zeit recht günstig. Ich erinnerte mich an meine frühere Sehnsucht und dann klickte mein Finger auf „jetzt buchen“.
Es war dann nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Es war viel schöner.
Herzens-Ort Schottland
Es waren vor allem die Menschen, die mich berührten. Ihre Gastfreundschaft, Herzlichkeit und Offenheit.
Da war die alte Dame, die mich im Bus freundlich fragte: „Where are you from, love? And what are you doing here?“ Und die gern mit mir plauderte.
Oder der Busfahrer, der mir lächelnd den halben Ticketpreis schenkte, weil ich nicht genug Kleingeld dabei hatte.
Oder das Paar, das auf dem Bürgersteig eine Autobatterie stehen hatte und sich wortreich dafür entschuldigte, den Weg zu blockieren.
Der dann Ceilidh-Tanzabend, als zwei Männer indischer Herkunft in kompletter Highland-Montur inklusive Kilt, zwei junge Frauen mit Hijab, eine Mutter mit ihrem etwa 15-jährigem Sohn mit Down-Syndrom, ein distinguiertes Pärchen aus zwei Herren in Pullunder, mehrere stiernackige Glatzköpfe in Jogginghose, beschwipste Studierende – als alle zusammen tanzten oder es versuchten und dabei über ihre und andere Füße stolperten und lachten und für einen Abend niemand Lust oder Zeit hatte, sich und andere wegen irgendwas zu hassen. Das. Das war schön.
So insgesamt: Zauberhafte Gastgeber*innen. Reizende Tanzpartner*innen. Charmante Barkeeper*innen. Keine Gespenster oder nur kurz.
Natürlich sind nicht alle Schott*innen dauerglücklich und tänzeln Dudelsack spielend, Whisky schlürfend und in Tartan gehüllt durchs Leben. Es gibt auch in Schottland Probleme wie Arbeitslosigkeit, Rassismus, Drogenkonsum, soziale Ungerechtigkeit.
Aber das Fundament für die gleiche Scheiße ist besser als in Berlin. Menschlicher, wärmer. Wenigstens das.
Lern-Ort Schottland
Anders als in Rio de Janeiro, wo die Grundschwingung der Stadt das Verweilen im Moment, das Sein mit sich trägt, sind es in Glasgow für mich Entwicklung und Inspiration. Die ganze Stadt strotzt vor Geschichte und Geschichten, die Schönheit von Landschaft und Architektur lässt zuverlässig mein Herz stolpern. Gerade auch das Schroffe, das Ungeschliffene, das Dreckige. Die Gassen. Der Stahl. Der Backstein. Das Bleigrau.
Der Schleier zwischen den Welten fühlt sich hier zarter an. Als wäre man von einem Rauschen umhüllt und müsste sich nur ein bisschen konzentrieren, um jede Geschichte hören zu können. Sie sind alle schon da. Alle. Sie warten auf mich.
Vielleicht, denke ich, kann man sein Zuhause gar nicht finden. Vielleicht findet es einen.
Übrigens: Dreimal war ich bisher in Glasgow und es hat auch nicht mehr geregnet als in Hamburg. Außerdem ist es momentan unglaublich spannend, was in Großbritannien passiert. Brexit, ihr wisst schon. Und Schottland nimmt wegen des Unabhängigkeits-Referendums da auch noch mal eine Sonderstellung ein.
Ach ja – und Whisky.
Darum. Darum Schottland.
In meinem kleinen Ratgeber Nach Schottland Auswandern steht alles, was ich bisher über mein neues Heimatland gelernt habe:
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Mehr Texte zum Thema Schottland:
- Roadtrip zum Loch Ness – von Zeitreisen und Monstern
- Darum ist Outlander die beste Serie der Welt
- Und plötzlich war da Paul
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Hallo, vielen Dank für die schönen Einblicke! Für einen Schweizer sollte bei einem Umzug Meggen in die schottisch Highlands zumindest in Bezug auf die Bergwelt kein Heimweh aufkommen! LG
Wind, der die Trauer wegweht, und Regen, der die Tränen wegwischt..
GenauSO empfand ich es und ähnlich beschrieb ich es, als ich nach meinem „Warum Schottland“ gefragt wurde…Und auch ich bin in Glasgow hängengeblieben..der rauen Schönheit. Der Stadt, die nicht aufgibt und die sich immer wieder neu erfindet.
.Inzwischen währt meine Liebe zu Schottland schon >40 Jahre. Ich brauchte keine (oder kaum) Reisen mehr in andere Länder, ich hatte meinen Ort gefunden – oder er mich.
Nice to meet you here, hen
Nice to meet you too, love!
Ohhh die outlander Bücher habe ich auch gelesen und die Serie dazu gesehen .ich liebe diese sooo! Ich will auch unbedingt nach Glasgow ? aber das was ich immer höre ist der Arbeitsmarkt…
Liebe Grüße
Ich fand Glasgow schon immer interessanter als Edinburgh. Rauer, irgendwie viktorianischer, edwardianischer, und als ich vor zwei Jahren zum ersten Mal seit 1995 mal wieder da war, auch sehr lebendig, modern, lecker (siehe deinen Frühstückspost). …und dieses Jahr ist der 150. Geburtstag von Charles Rennie Mackintosh, da gibt’s bestimmt auch haufenweise interessante Veranstaltungen.
Ja, in der Kelvingrove Art Gallery gibt’s zum Beispiel grad eine Ausstellung zu Mackintosh! Ach, das freut mich ja, dass es dir mit Glasgow so geht wie mir. <3