Wäre das Zeitfenster nur ein bisschen anders gewesen, Paul und ich hätten uns verpasst und uns niemals kennengelernt. Erstaunlich, was sich das Universum manchmal ausdenkt.

Meine Ankunft in Glasgow ist nicht so glatt gelaufen, wie ich es mir gewünscht hätte. Ziemlich schnell wurde klar, dass ich dringend eine andere Unterkunft brauche. Eine, in der es okay ist, wenn ich an unifreien Tagen im Home Office arbeite. Und dabei die Heizung anschalte. Und grundsätzlich atme.

Während ich also mit den Ausläufern eines hässlichen Atemwegsinfekts in einem kalten Zimmer lag und zum ersten Mal in meinem Leben so was wie Heimweh in meinem Herzen tobte, suchte ich mit fröstelnden Fingern im Internet nach einem neuen Zimmer.

Ich fand: Paul.

Er sah so nett und verschmitzt aus und das Zimmer so hübsch und die Straße kannte ich von einem Spaziergang her, bei dem ich gedacht hatte: Hier könnte ich bestimmt gut schreiben. Überall Bäume und Ruhe und ein kleiner Hügel.

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Wir vereinbarten einen Besichtigungstermin fürs Wochenende. Doch dann sagte Paul kurzfristig ab. Die Anzeige aufzugeben wäre vielleicht voreilig gewesen, er sei gerade erst seit kurzem getrennt, sein Mann hätte ihn nach 15 Jahren verlassen und möglicherweise wäre er noch gar nicht bereit, eine fremde Person in der Wohnung zu haben.

Ich verstand. Oh, und wie.

Paul und ich haben was gemeinsam

Wenn ein ganzer Lebenstraum plötzlich platzt und man nur noch die Hälfte von dem ist, was man zu sein dachte und gar nicht genau weiß, wer man eigentlich ist, so halb und so planlos. Wenn man Angst hat vor der Zukunft und nicht mal weiß, wie man das Jetzt überstehen soll. Wenn man wohnen bleibt und trotzdem sein Zuhause verliert und die Gewissheit und die innere Verortung.

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Aber irgendwann wird es besser, man ist wieder jemand und hat kompromisslose Träume, die man ganz allein geträumt hat. Man fliegt um die Welt und schreibt und küsst und tanzt und trinkt Tequila.

Das alles schrieb ich Paul und auch: Kein Problem, ich kenne das, ich suche mir was anderes.

Paul schrieb: Ich glaube, du bist nett. Komm trotzdem vorbei.

 

Und in dem Augenblick, als Paul die Tür aufmachte, wusste ich: Das ist es. Es fühlte sich an, als würde ich ihn schon mein Leben lang kennen. Wie ein lang vermisster Bruder. Wir saßen über eine Stunde auf der Couch, tranken Kaffee und quatschten und fühlten uns wohl miteinander.

Danach schrieben wir uns kontinuierlich auf WhatsApp, schickten uns Bilder im Pyjama und blöde Witze. Ich lachte ganz viel und ganz laut und mir war viel weniger kalt.

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Ein paar Tage später gingen wir aus. Wir tranken Rosé und Whisky, wir aßen Pizza und sprachen über die ganze Welt. Unsere, die andere, seine, meine. Er sagte: Es ist komisch, aber ich wusste von Anfang an, dass du es bist. Wir hüpften Händchen haltend und singend durch die Straßen Glasgows. Ich übernachtete bei ihm, in meinem neuen Zimmer, und schlief wie ein Stein.

Paul ist ein guter Freund

Er kann wunderbar zuhören und toll erzählen. Er ist Lehrer und Sänger und spielt Klavier, er hat ein großes Herz, ein ansteckendes Grinsen und einen zauberhaften schottischen Akzent. Er gibt mir ein Zuhause und ich revanchiere mich mit Rat und Lebensfreude, Gefühlsglitzer und Pasta mit Parmesan.

Eine Woche später zog ich mit drei Koffern und vier Kisten bei Paul ein.

Es war wie nach Hause kommen.


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