„Kennst du dieses Lied?“ fragt der Taxifahrer, „es ist Das Massaker von Glencoe.“ Getragene Dudelsack-Klänge untermalen die Fahrt vom Flughafen zu meiner Unterkunft in Glasgow. Bauschige Wolken ziehen über den Himmel, der mir weiter vorkommt als der in Berlin.

Schottland, ich bin hier!

Der Taxifahrer und ich unterhalten uns darüber, dass diese blutige Angelegenheit keine simple Clan-Fehde zwischen Campbells und MacDonalds, sondern hochpolitisch war.

Dann erzählt er mir die rührende Geschichte zu seinem persönlichen Karo-Muster: „Zwei Wochen vor der Hochzeit meines Sohnes wurde ich plötzlich so krank, dass mir die Ärzte noch zwei Wochen zu leben gegeben haben. Der Gedanke, nicht dabei sein zu können, brach mir das Herz. Also entwarf ich ein eigenes Muster, das mein Sohn an diesem Tag tragen sollte.“

Mit einer Hand reicht er mir einen karierten Schal nach hinten und erklärt mir die Farben: „Rot ist für die Arterien, Blau für die Venen. Weiß für die Unschuld bei der Geburt und Schwarz für den Tod.“ Ich schließe kurz die Augen. Wir kennen uns ein bisschen, der Tod und ich. „Oh, und das hellere Blau hier – das ist die Farbe der Brautjungfernkleider!“ Nach einer kurzen Pause frage ich: „Das ist jetzt aber mehr als zwei Wochen her, oder? Er grinst und ich, erleichtert, dann auch.

Als wir an der Adresse ankommen, wuchtet er schwungvoll die prallen Koffer auf den Bürgersteig und fragt dann unvermittelt: „Würdest du mit mir ausgehen?“ Ich gucke verdutzt. „Ich bin seit vielen Jahren Single und würde dir gern Schottland zeigen“, sagt er und steckt mir seine Karte zu. „Sag Bescheid.“ Ich grinse: „Vielleicht, wenn ich ein Taxi brauche.“ Lachend steigt er in sein Black Cab und fährt davon.

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Neues Zuhause in Glasgow?

Als ich klingeln will, kommt mir meine künftige Vermieterin und Mitbewohnerin entgegen. Wir kennen uns schon, wir waren bei meinem letzten Besuch hier im Mai einen Cocktail zusammen trinken. Sie und ein Nachbar helfen mir dabei, die drei Koffer ins durch das dunkle, enge und von feuchtem Kellerduft erfüllten Treppenhaus ins zweite Obergeschoss zu hieven. Darin ist alles, was ich besitze. Wir ächzen im Kanon.

Die Wohnung ist atemberaubend, wunderschön. Groß, hell, mit Blick direkt auf den Park. Mein Zimmer ist noch nicht fertig eingerichtet – ein Bett, eine Kommode, nackte Glühbirne, kein Kleiderschrank – hat aber ein eigenes kleines Bad. Und schwere Vorhänge, um die schottische Kälte auszusperren. Aus meinem Fenster blicke ich auf eine mächtige Kastanie; jeden Tag werde ich ihren Blättern beim allmählichen Sterben zuschauen.

Ich kann es fast nicht fassen. Ich bin tatsächlich in Glasgow.

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Hier gibt es Geschichte und Geschichten an jeder Ecke, fantastisches Essen wie libanesische Pommes und malaysisches Nasi-Goreng, freundliche Menschen. Das Wetter wechselt minütlich zwischen strahlendem Sonnenschein und markerschütterndem Regen. Nach der ersten Dusche, die elektrisch funktioniert und daher einen Wasserdruck wie ein schluchzender Schlumpf produziert, erwäge ich sekundenlang, meine Haare draußen zu waschen.

Sonne, Regen, Sonne…

Bei jedem richtigen Abenteuer ist aller Anfang schwer, ich hätte es ahnen können. Eigentlich habe ich das sogar – das ist der Grund, warum ich schon im August hergekommen bin und nicht erst im September, kurz bevor der Kurs an der Uni startet.

Ich würde zu viel Zeit zu Hause verbringen, eröffnet mir meine Vermieterin nämlich nach einer knappen Woche. Das sei ein Problem wegen der Heizkosten. Sie hätte gedacht, ich würde in Vollzeit studieren und wäre so gut wie nie zu Hause – ein verständliches Missverständnis. Also erhöht sie die Miete. Die ist selbst dann aber immer noch sehr okay für ein Zimmer in dieser Lage und mit dieser Ausstattung.

Nur… irgendetwas fühlt sich seitdem anders an. Meine Freude ist getrübt, so wie der Himmel über dem Park vor meinem Zimmer an diesem Morgen. Das hatte ich mir so nicht vorgestellt. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist.

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Jetzt sitze ich also in einer Wohnung, die etwa 18,5 Grad hat, und habe mir einen hässlichen kleinen Atemwegs-Infekt eingefangen. Dagegen hilft Tee, den gibt es hier reichlich, und die gefühlte zehnte Wiederholung der Serie Outlander. Und ja, ich bin ziemlich unleidlich, weil ich Jamie und Claire nur auf meinem MacBook und unter einer sehr dicken Decke zusehen kann, wie sie durch die Highlands reiten – dabei bin ich doch eigentlich so nah dran an all dem Schottland um mich herum.

Mal sehen, wie’s mit meinem Abenteuer in Glasgow weitergeht.


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