Liebe Omi,

du bist heute seit genau zwölf Wochen tot und so ganz langsam scheine ich meinen Frieden damit zu machen – zu meiner eigenen Überraschung. Allerdings kann mich dein Tod nicht davon abhalten, dir zu schreiben, was so passiert ist.

Also.

Ich habe deinen Grabstein gesehen, Omi. Er ist endlich fertig und steht an Ort und Stelle. Es hat gar nicht so wehgetan, ich konnte beim Anblick des Fotos sogar fast normal atmen. Denn jetzt sieht dein Grab nicht mehr so traurig und öde aus. Und es ist ein weiteres Stückchen Abschied. Du hast den Stein selbst ausgesucht, vor Jahren schon. Ich musste lächeln, weil du eine Rose eingravieren lassen hast – natürlich. Du hast Rosen wirklich geliebt. So sehr, dass ich dir fast von jeder Reise Rosenseife mitgebracht habe und immer, wenn ich nicht wusste, was ich dir schenken soll, habe ich etwas mit Rosen ausgesucht. Du hast dich jedes Mal gefreut.


Und nun, wo dein Grabstein endlich steht, werde ich mit meiner Schwester und Opa hinfahren. Ein oder drei Blümchen für dich hinlegen, einen Gruß da lassen. Nicht weinen, mir nicht vorstellen, wie du da unten liegst, nicht mein Herz auf die Tannenzweige werfen. All das nicht. Lieber das Gegenteil. Ich hoffe nur, dass es nicht regnet und nicht zu kalt ist. Opi soll ja nicht krank werden.

Denn momentan geht es ihm den Umständen entsprechend okay. Neulich hat er zum ersten mal seit Monaten auf die Frage „Wie geht es dir?“ tatsächlich mit „Gut“ geantwortet und das war wunderschön.

Ansonsten geht es mir ganz in Ordnung, Omi. Ich war neulich wieder ausgiebig in Potsdam spazieren und habe mich erholt, ausgeruht, durchgeatmet. Bis zum Weihnachtsfest ist es ja zum Glück noch ein wenig hin. Ich hoffe, es geht dir gut auf der anderen Seite und du bist froh, wenn du von dort aus siehst, wie wir weiterleben. Auch, wenn’s noch immer nicht leicht ist.

Also dann, Omi. Bis nächste Woche!

Deine Jessi


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Wir geben Opa nicht ins Heim
© J. Wagener

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