Von wegen Tweedsakkos und Zigarrenrauch: Whisky wird weiblicher. Vier Frauen erzählen, wie sie ihre Leidenschaft für Scotch zum Beruf gemacht haben.
VON JESSICA WAGENER
[Dieser Text erschien zuerst auf der Website des Spiegel]
Wer Whisky liebt, muss nach Schottland, zum Beispiel ins „Curly Coo“: Draußen prasselt der Regen an die Scheibe, innen prasselt ein Feuer im Ofen, und in den Holzregalen über dunkelroten Ledersitzen stehen mehr als 130 Flaschen Malt – aus den Highlands, den Lowlands, von den Inseln, von der Speyside. Jede Whisky-Region Schottlands ist vertreten. Der kleine Pub bietet alles, wonach sich das Whisky-Herz sehnt, und könnte typischer nicht sein. Mit einer Ausnahme: Mandy Silver. Sie ist hier die Chefin und eine der wenigen Frauen im Whisky-Business.
Ihre Stimme klingt ein wenig rauchig, wenn sie erzählt. Sie ist im Bargeschäft „seit Gott ein kleiner Junge war“. Seit elf Jahren betreibt sie ihren eigenen Pub; seit 2014 ist es die „Curly Coo Bar“ in Stirling, zwischen Glasgow, Edinburgh und Perth. Das Tor zum schottischen Hochland ist von historischer Bedeutung: Hier hat der Freiheitskämpfer William Wallace 1297 die Engländer geschlagen. Silver stammt ursprünglich aus England, fühlt sich aber als Schottin: „Ich bin vor 25 Jahren über die Grenze nach Schottland gekommen. Mich kriegen hier keine zehn Pferde wieder weg!“
Whisky, sagt sie, sei ihre Leidenschaft. Deshalb hat sie ihren Pub auch rund um die komplexe Spirituose aufgebaut. Am Anfang gab es nur sechs Flaschen Malt – und jede Menge zu lernen. „Ich wusste nicht allzu viel über Whisky“, sagt Silver. „Also habe ich gelesen und gelesen. Ich bin jede Nacht über meinen Whisky-Büchern eingeschlafen.“ Das hat sich ausgezahlt. Ihr Pub „Curly Coo“ (übersetzt: Lockige Kuh) gewinnt Auszeichnungen, genau wie Silver selbst. Sie hat sich einen Namen in der Branche gemacht.
Leicht war das allerdings nicht, jedenfalls nicht immer. „Als Frau mit einer Whisky-Bar muss man sich so oft beweisen“, erzählt Silver. „Wenn mein Barkeeper hinter der Bar steht, wird ein Mann immer ihn nach dem richtigen Whisky fragen.“ Sie sage dann: „Das ist meine Bar. Ich weiß, was ich habe. Frag doch mich.“ Vor allem alte Männer seien skeptisch: „Einmal kamen zwei alte Jungs an die Bar, wollten Whisky und stellten viele Fragen. Ich habe sie alle beantwortet und bin kurz um die Ecke, um mir einen Kaffee zu holen. Dann hörte ich sie sagen: ‚Hm, sie kennt sich ganz gut aus, oder?‘ Sowas würde einem Mann nie passieren.“
Als Frau müsse man definitiv härter arbeiten in diesem Geschäft, sagt Silver.“Ich denke, inzwischen werde ich ziemlich respektiert.“ Es kämen auch immer mehr Whiskytrinkerinnen zu ihr in die Bar. Für Silver ist der erste Whisky im Leben eines Menschen eine große Verantwortung: „Wenn ich den falschen anbiete, trinken sie nie wieder welchen.“ Den richtigen Whisky für jemanden zu finden, das ist Silvers Definition von Erfolg. Sie fragt dazu nach persönlichen Geschmacksvorlieben, der aktuellen Stimmung und schenkt auch mal ein paar Probierschlucke aus. Trotzdem bleibt es ein schwieriges Unterfangen – in Schottland gibt es mehr als 130 Destillerien, jede mit ihren eigenen Whiskys und individuellem Geschmacksprofil.
150.000 Fässer Whisky, alle anders
Das Aroma eines Whiskys zu entwerfen, ist Sache des Master Blenders – ein überwiegend männlich besetzter Traditionsberuf. Dr. Rachel Barrie macht ihn seit 2003, derzeit unter anderem für GlenDronach. Zu ihren wichtigsten Aufgaben gehört, verschiedene Whiskys so zu kombinieren, dass ein unverwechselbarer Blended Whisky daraus entsteht. Barrie war die erste Frau in diesem Beruf. Ihr Weg dorthin begann „zu Hause in Aberdeenshire, mit meinem Vater“, erzählt sie. „Er hatte eine Sammlung von Single Malts, die ich immer bewundert habe, und irgendwann fing ich an, Miniatur-Flaschen zu sammeln.“
Später studierte Barrie Chemie in Edinburgh. Nach dem Abschluss mit Auszeichnung landete sie als Forschungsassistentin beim Scotch Whisky Research Institute. Dort entdeckte sie den Job des Master Blenders und ihr Ziel war klar. „Ich wusste, dass es Zeit brauchen würde, also habe ich mich so gut wie ich nur konnte aufs Lernen konzentriert, Fähigkeiten und Kompetenzen erworben“, sagt sie. Inzwischen gehört sie zu den Stars der Branche.
Selbst nach über 150.000 analysierten Fässern schwärmt sie noch von Whisky: „Am meisten liebe ich es, dass Single Malt Scotch Whisky eine Persönlichkeit hat, die man kennenlernen, verstehen und lieben kann. Jeder Scotch ist individuell, der Charakter geprägt von der Landschaft, Herkunft, Kultur, dem Gleichgewicht aus Natur und Pflege und all den Erfahrungen, die der Whisky auf seiner Reise so macht.“ Das schmecke man in jedem Tropfen. Ihr Job als Master Blender ist, dass es so bleibt.
Frauen sind gut fürs Geschäft
Auch Stephanie Macleod hat sich im Whisky-Geschäft hochgearbeitet. Sie ist erst der siebte Master Blender in der 174-jährigen Geschichte von Dewar – und die erste Frau in der Position. 2019 wurde sie bei der International Whisky Competition ausgezeichnet als „Master Blender of the Year“. „Manchmal kneife ich mich, weil es so ein Traumjob ist“, sagt sie. „Mein zehnjähriges Ich wäre begeistert, dass ich mein Leben so liebe – obwohl sie vermutlich schon ein wenig enttäuscht wäre, dass aus ihr keine Spionin geworden ist.“
Macleods Karriere begann ebenfalls eher zufällig über einen Job als Forschungsassistentin: „Ich wusste nichts über Whisky, ich wusste nicht mal, ob ich Whisky überhaupt mag.“ Doch je mehr sie sich damit beschäftigt habe, desto größer wurde ihre Faszination: „Und dann gab es kein Zurück mehr.“ Sie habe Glück gehabt mit ihrem Arbeitgeber, sagt Macleod: „Es gab keine großen Hürden zu überwinden. Es ist eine familiengeführte Firma und das Team ist wie eine Familie.“
Die langsame Veränderung in Sachen Whisky bemerkt auch Macleod: „Es tut sich was, und ich freue mich sehr, dass so viele Frauen Whisky genießen und in Bars bestellen.“ Im professionellen Umfeld nehme der Frauenanteil ebenfalls zu. Das liegt laut Macleod einerseits daran, dass grundsätzlich mehr Frauen berufstätig seien – und auch an deren veränderten Interessen: „Wir haben eine wachsende Zahl von Frauen in technischen Berufen und Ingenieurinnen.“
„Ich denke, die Branche ist heute so gleichberechtigt und vielfältig wie noch nie“, sagt auch Rachel Barrie. „Frauen sind weltweit an der Produktion und Finanzierung, am Marketing und am Verkauf von Whisky beteiligt – das führt zu einer viel größeren Vielfalt auf Kundenseite, was wiederum gut fürs Wachstum ist.“
Mögen Frauen überhaupt Whisky?
Eine, die alles in der Hand hat, ist Annabel Thomas. Die Londonerin hat vor sechs Jahren an der schottischen Westküste eine Destillerie eröffnet – komplett ökologisch und nachhaltig, mit zu 100 Prozent erneuerbaren Energien. „Ich liebe die Traditionen rund um Scotch, aber die Branche muss sich auch bewegen und auf die Zukunft einstellen“, sagt sie. Ihren Whisky Nc’nean hat sie nach einer gälischen Göttin benannt: „Neachneohain war als Schützerin der Natur und Wegbereiterin bekannt.“
Um mehr Frauen für eine Karriere im Whisky-Business zu begeistern, hat Thomas im vergangenen Jahr in ihrer Destillerie zwei Stellen speziell für Praktikantinnen geschaffen: „Frauen passen genauso gut in die Branche, und ich würde mich sehr freuen, die Vorstellung in den Köpfen zu ändern, dass nur Männer eine entsprechende Karriere machen können.“ Mit Vorurteilen hat sie selbst bislang bedingt zu kämpfen. „Es gibt jede Menge Leute, die mich alberne Dinge fragen, zum Beispiel, ob ich Whisky überhaupt mögen würde. Davon abgesehen habe ich die Branche aber als sehr offen erlebt.“
Was Annabel ärgert, sind die vielen Menschen, die immer noch denken, Whisky sei nichts für Frauen: „Ich finde das wirklich, wirklich schade.“
Ihr erster Whisky wird in diesem Spätsommer fertig sein. Entsprechend aufgeregt ist sie: „Ich hoffe, dass er als guter Whisky und als Pionierprodukt im Bereich Nachhaltigkeit und Kreativität wahrgenommen wird“, sagt Annabel Thomas. „Außerdem hoffe ich, dass ihn auch Leute probieren, die normalerweise keinen Whisky trinken.“ Männer wie Frauen.
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