Ich sitze allein vorm Weihnachtsbaum. Es ist nicht mal meiner. Merkwürdigerweise ist es genau das, was ich schön finde. Ein Beobachter würde vielleicht sagen: „Sie wirkt recht vergnügt.“

In der Berliner Wohnung von Freunden bzw. Kollegen, die ihre Familien besuchen, hüte ich die Katze. Vor mir steht eine Schale Müsli mit Blaubeeren und Banane, Standard-Frühstück. Im Hintergrund scheppert „Let It Snow“ aus meinem iPhone und in mir wummert ein warmes Weihnachtsgefühlchen im Takt.

Drei Jahre hat es gedauert. Drei Jahre nach Omis Tod tut Weihnachten nicht mehr weh, sondern gut. Ich kann die Erinnerungen von allen Seiten betrachten, herumdrehen und lächeln. Das Gefühl dazu heißt Frieden, nicht Schmerz.

Trauer gehört dazu – Dankbarkeit aber auch

Natürlich vermisse ich Omi und Opi. Weihnachten zu Hause – mit dem immer ein wenig schiefen, etwas zu mickrigen Baum und den viel zu bunten Kugeln, mit dem Lametta und der uralten Lichterkette, mit Roastbeef und Eis und Kartoffelsalat, mit „O Tannenbaum“, Sätzen wie „Was hast du denn da bloss wieder gekauft!“, „Musst du nicht mal langsam los?“ und „Kind, nimm doch noch was zu essen mit, ich pack dir mal was ein“ – das fehlt. Omi und Opi fehlen. Das gehört auch so.

Aber ich kann inzwischen an sie denken, ohne dass mein Herz zerspringt vor Trauer. Es füllt sich stattdessen bis zum Rand mit Liebe. Wie wunderbar das ist.

Dann denke ich an all die Menschen, die nicht für immer weg sind, sondern noch da.

An Kolleg*innen und Freund*innen, an Leute, die mir ihr Zuhause öffnen und mich willkommen heißen, die mich unterstützen und mir helfen, mit mir lachen, tanzen, essen und ihre Zeit verbringen, die Sekt, Champagner, Bier, Schokolade und Wein mit mir teilen. An Menschen, die, schlicht gesagt, einfach gut zu mir sind. Ich sehe das und ich bin dafür zutiefst dankbar. Ich mag nicht viel Geld haben, aber ich fühle mich wie der reichste Mensch der Welt.

In meinem Kopf und in meinem Herzen höre ich plötzlich seit längerer Zeit wieder Omis Stimme, klar und deutlich: „So wünsch ich dir das, das hast du auch verdient, mein Kind.“ Ein bisschen ist es so, als hätte sie da ihre Finger im Spiel.

Mein Rückblick auf 2019

Ein Jahrzehnt geht zu Ende. Das Jahrzehnt, das mich am meisten geprägt und mir alles abverlangt hat. Alles. Ich wäre fast daran zerbrochen. Fast.

Ja, 2019 war ein vergleichsweise gutes Jahr. Niemand, den ich lieb habe, ist gestorben. Es war anstrengend, aber voller Erlebnisse und Erfahrungen.

Ich musste nochmal umziehen und habe schließlich ein richtiges, eigenes Zuhause gefunden.

Ich habe eine Prüfung bestanden und wurde an der Uni angenommen.

Ich saß an Omis und Opis Grab und habe ihnen alles erzählt, was bis dahin so los war.

Ich habe gelernt, was Familie bedeutet und was nicht.

Dass Liebe manchmal nicht vergeht, sondern nur schlummert und verändert wieder aufwacht.

Ich habe Wurzeln geschlagen. Also, Wurzelchen. Das erkenne ich daran, dass ich im Buchladen, beim Friseur und im Kaffee erkannt und angesprochen werde. Dass mir das sehr gefällt. Dass ich Heimweh habe, wenn ich unterwegs bin.

Ich habe neue Freundschaften geschlossen. Und eine verloren geglaubte wiedergefunden.

Sehr viel gearbeitet. Sehr, sehr viel.

Ich war fürchterlich lange furchtbar erkältet, als ich eigentlich Urlaub machen wollte.

Ich habe Selfcare endlich ernst genommen.

Ich habe mit dem Studium angefangen und wahnsinnig viel gelernt. Unter anderem auch, dass dieses „lotterhafte Studierendenleben“ ein lachhafter Kack-Mythos ist.

Und im schönsten Saal Glasgows Ceilidh getanzt und mich für einen Abend fast verknallt.

Ich bin regelmäßig zum Sport gegangen und habe gespürt, dass das Kopf und Körper wirklich gut tut. Vor allem, wenn man jeden Tag – auch am Wochenende – von 9 bis 9 am Schreibtisch sitzt.

Ich habe unglaublich viel über mich selbst herausgefunden, mein Muster und Trigger, und wie ich damit umgehen kann.

Ich hatte sehr viel sehr lieben Besuch in Glasgow dieses Jahr und habe so viel gelacht, dass mein Gesicht wehtat. Der Bauch sowieso.

Ich habe das Monster von Loch Ness gesehen. Und Glencoe. Und Burgen besichtigt.

Ich habe die beste Vermieterin der Welt, mit der man ganz hervorragend brunchen und Cocktails trinken kann. Auch, wenn man auf erbärmlichste Weise verkatert ist.

Ich habe eine Roman-Idee entwickelt und beschlossen, daraus wirklich irgendwann ein Buch zu machen.

Unmengen Tee getrunken. Wirklich absurd.

Ich habe bei einer Wahl mitgefiebert und war danach am Boden zerstört.

Ich habe gelernt, dass ich nicht allein bin.

Und dass ich trotzdem irgendwann einen Hund will.

Mein Happy Place ist ein Friedhof.

Ich liebe mein Leben.

Frohes neues Jahr. <3


PS: Ich bin freie Journalistin, Autorin und Studierende und das Betreiben dieses Blögchens kostet – genau wie alles andere im Leben – ein wenig Geld. Wer also mag, kann hier via Paypal ein bisschen Trink-, äh, Schreibgeld dalassen. Dankeschön! <3

 

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