Liebe Omi,

du bist heute seit zwanzig Wochen tot und manchmal frage ich mich, ob du vom Zeitpunkt her vielleicht doch so was wie Glück hattest, denn die Welt versinkt im Chaos. Jedenfalls können mich weder Chaos noch Tod davon abhalten, dir zu schreiben, was passiert ist.

Also. Zuerst die gute, die beruhigende Nachricht: Opi hat sich wieder gefangen. Nachdem seine ältere Schwester, deine Schwägerin, ihn ziemlich aufgewühlt hatte, ist er erst eine Zeit ziemlich durcheinander gewesen. Aber inzwischen ist alles in Ordnung und er meckert wieder munter über die ewig gleichen Dinge.

Nun die schlechte Nachricht: Ich fürchte, die Welt könnte vor die Hunde gehen, Oma.

Donald Trump ist tatsächlich Präsident der USA geworden und wenn ich anfangen würde, alles, was ich dabei und darüber denke und empfinde, aufzuschreiben, werde ich vermutlich nie, nie mehr aufhören können. Nur so viel: Es macht mir Angst und es zerreißt mir das Herz. Das, was die Regierung Trump gerade tut, widerspricht allem, was ich durch deine Erziehung gelernt und verinnerlicht habe und – mal mehr, mal minder erfolgreich – jeden Tag umzusetzen versuche. Sei ehrlich, sei anständig, sei fleißig und freundlich, habe Mitgefühl mit anderen, sei hilfsbereit, rechtschaffen, großzügig und insgesamt ein möglichst guter Mensch.

Und ich erinnere mich plötzlich erstaunlich häufig daran, wie du auf meine kindliche Frage „Was wünschst du dir am allerallermeisten auf der Welt, Oma?“ konsequent die gleiche Antwort gegeben hast: „Nie wieder Krieg.“


Es gibt da einen halb tröstenden, halb verstörenden und auch ein bisschen bitteren Gedanken, der mich nicht mehr loslässt: Vielleicht hat dich der liebe Gott, an den du ja zeitlebens geglaubt hast, schon vergangenes Jahr auf deine „Wolke Sieben“ geholt, weil er wusste, was hier geschehen würde? Ich meine, alles zu wissen gehört zu seiner Jobbeschreibung, oder? Ach, Omi. Kalte Furcht kriecht durch die Welt, in meine Stadt, in meine Wohnung, in meine Adern bis in mein Herz. Ich kann mich nicht auf die Zukunft freuen, weil ich es nicht wage. Aber ich höre schon wieder deine Stimme: „Man muss immer Hoffnung haben, Kind!“

Bloß manchmal, Omi, ist das leider sauschwer.

Du fehlst mir in diesen zunehmend wirren, komplizierten, unruhigen Zeiten noch mehr. Du hast mir Sicherheit gegeben, viel Liebe auch, vor allem aber Hoffnung. Und wo auch immer du jetzt sein magst – lass mich und die Welt nicht im Stich. Eventuell kannst du ja von Wolke Sieben aus … Du weißt schon.

Okay, also dann bis nächste Woche. Hoffentlich.

Deine Jessi


[Lest auch Brief an Omi, Nr. 17: Deine Schwägerin hat Opi aufgeregt]

[Lest auch Brief an Omi, Nr. 16: Opa hat es nicht leicht ohne dich]

[Lest auch Brief an Omi, Nr. 15: Die Welt ohne Dich ist nicht okay]


 

Wir geben Opa nicht ins Heim
© J. Wagener

Und wer die Vorgeschichte von Omi und Opi (und so einige von Omas markanten Sprüchen) lesen will, der kann hier das Buch „Wir geben Opa nicht ins Heim – unser Jahr zwischen Wunsch und Wirklichkeit“ dazu bestellen.

 

 

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