„Wenn das so weiter geht, dann gehe ich hier zugrunde“, flüstert meine Oma in den Telefonhörer. Erschöpft, den Tränen nahe. Sie lebt inzwischen auch im Pflegeheim bei Opi. Und ich weiß nicht, wann ich mich das letzte Mal so hilflos gefühlt habe. Pflege als Angehörige ist verdammt hart.

Pflegeheime existieren, damit alte Menschen professionell versorgt werden, weil es Zuhause nicht mehr möglich ist, damit es ihnen besser geht. Und auch, damit Angehörige wissen, dass ihre Lieben gut aufgehoben sind. Eine Entlastung für alle. Das ist grundsätzlich eine gute Sache.

Dachte ich. Und so schrieb ich es darum auch in meinem zweiten Buch „Wir geben Opa nicht ins Heim – unser Jahr zwischen Wunsch und Wirklichkeit“, das auf dem Hegestufe-Blog basiert, und über das ich mich so gern freuen würde. Aber das kann ich derzeit leider nicht.

Mein parkinsonkranker, demenziell erkrankter Opa wohnt inzwischen seit zwei Jahren in einem Pflegeheim und meine herzkranke Oma seit sieben Monaten. Es lief noch nie alles perfekt in der Einrichtung, das kann und muss es auch nicht. Insgesamt jedoch war es bisher sehr okay.

Aber was in den vergangenen Monaten alles schief gelaufen ist, ist einfach unfassbar:

Man wollte Oma trotz Blutung nicht ins Krankenhaus bringen

Oma hat einen Katheter und bekam Anfang Mai plötzlich starke Blutungen. Wegen ihrer Stents nimmt sie Blutverdünner, das kann gefährlich werden. Oma wollte ins Krankenhaus, die Pflegekräfte waren unsicher. Erst, als ich wütend beim Empfang anrief, wurde ein Rettungswagen gerufen.

Vorher noch hat der Pflegedienstleiter, der nur in administrativer Funktion auftritt, meine unter Schock stehende Oma ungefragt im Intimbereich untersucht, um sich ein Bild von der Blutung zu machen. Dieses übergriffige Verhalten hat meine Oma verstört und belastet.

In der Klinik stellte man fest, dass es offenbar Polypen waren, also einigermaßen harmlos. Trotzdem war es gut, den Grund für die Blutung zu kennen. Doch eine Pflegekraft sagte hinterher zu meiner Oma, das Krankenhaus wäre sauer gewesen, weil Oma den Ärzten umsonst Arbeit gemacht hätte. Entschuldigung, aber GEHT’S NOCH?

Gefährliche Medikamentenverwechslung

Eine Pflegekraft wollte Opa versehentlich Omas Medikamente geben und ließ sich nur mit Mühe durch Oma vom Gegenteil überzeugen. Das ist Gesundheitsgefährdung! Denn aufgrund ihrer Herz-Erkrankung und diverser anderer Schmerzprobleme bekommt Oma den richtig harten Stoff. Hätte sie die Tabletten nicht kontrolliert, wäre sie nicht eingeschritten – wir hätten möglicherweise keinen Opa mehr.

Opa steckte nachts kopfüber in dem Spalt zwischen Bett und Wand

Niemand weiß, wie es passiert ist und wie lange er dort festhing. Er bekommt wegen Parkinson starke Neuro-Medikamente, manchmal wühlt er darum nachts im Bett. Erst, als meine Oma gegen 4:30 Uhr auf Toilette ging, hörte sie Opas Hilferufe. Die Wohn- und Pflegeaufsicht ordnete daraufhin ein Notfall-Armband an. Unschön, dass die Nachtschwester es wenige Tage später abnahm und einfach auf den Nachttisch legte, wo es liegen blieb. Warum? Keine Antwort.

Es zerreißt mir das Herz. Pflege als Angehörige gehört zu den härtesten Dingen, die es gibt auf de Welt.

Fallbesprechung? Eher Tribunal

Es gab keine Einladung oder rechtzeitige Info an mich. Wäre ich nicht aus Zufall an genau dem Tag in Hamburg gewesen, hatte meine 83 Jahre alte, kleine Oma ganz allein sämtlichen Pflegekräften und dem Pflegedienstleiter gegenüber gesessen (der übrigens darauf bestand, zu stehen, obwohl alle anderen saßen und genug Platz gewesen wäre – eine unnötige nonverbale Druckkulisse).

Ergebnis des Gesprächs: Die Schwester würde jetzt öfter mal nachts bei Opa reinschauen. Man könne aber leider nicht mehr nachvollziehen, wie es zur Medikamentenverwechslung kam. Eigentlich würde die Apotheke ja alles für eine komplette Woche fertig machen. Ob Oma da eventuell was durcheinander bekomme hätte… Und Stress? Nein, das ließe man nicht gelten, man hätte selbstverständlich immer genug Pflegekräfte auf dem Wohnbereich. Äh. Zwei Personen für über 30 alte, kranke Menschen? I doubt it.

Oma kriegt Schmerzmittel nicht

Sie hat das Restless Leg Syndrom und bekommt darum bei spontanen Schmerzen Paracetamol-Zäpfchen. Die wären leer, sagte eine Pflegekraft eines abends, und die Hausärztin hätte auch keine neuen verschrieben. Oma war ganz aufgelöst und konnte wegen der Schmerzen nicht schlafen. Auf Nachfrage behauptete die Pflegekraft laut Heimleitung, Oma habe nach Tramal gefragt und dafür gäbe es nun mal kein Rezept. Stimmt nur leider beides nicht.

Oma kann sehr wohl Tramal von Paracetamol und Tabletten von Zäpfchen unterscheiden. Und ich hatte kurz vorher aus anderen Gründen mit der Ärztin gesprochen, die mir sagte, sie hätte Anfang Juni für Oma Tramal auf Bedarf verschrieben. Ach, und manchmal bekommt auch Opa seine Medikamente einfach nicht. Ohne Begründung, ohne Erklärung, ohne Antwort.

Angehörige sollen Urinproben zum Arzt bringen

Diese Aussage kam zweimal von einer Pflegerin. Oder – so geschehen – besonders nette Pflegekräfte machen das in ihrer Freizeit. WTF? Offiziell fährt der Fahrer einmal pro Woche zur Praxis. Aber offiziell steht auch „das Wohl der Bewohner in Mittelpunkt“. Kurz gesagt: Es existiert meiner Erfahrung nach eine Riesenlücke zwischen Anspruch und Realität.

Eine Zeitarbeitskraft wollte Oma und Opa Insulin spritzen

Dabei ist keiner von beiden zuckerkrank. Das stehe aber so auf dem Zettel, insistierte die Pflegerin. Und Oma so zu mir: „Sind wir vielleicht doch von der Ärztin mit Zucker diagnostiziert worden und niemand hat es uns gesagt?“ So viel zum Thema Vertrauen und Kommunikation. Hätte Oma ein Schläfchen gemacht und die Pflegekraft unserem demenzkranken Opa nicht geglaubt – vielleicht hätte er die Spritze bekommen. Und dann? Ich mag es mir nicht ausmalen. Pflege als Angehörige bedeutet Verantwortung – auch, wenn man nicht vor Ort ist.

Man hat Opas Wechseldruck-Matratze entfernt

Opa ist bettlägerig und hatte kurz nach seinem Einzug in die Einrichtung schon beginnende Dekubitus-Rötungen am Gesäß. Er bekam eine Wechseldruck-Matratze, die hatte er über eineinhalb Jahre und alles war gut und schick. Jetzt hat er plötzlich eine andere Matratze und sein Gesäß rötet sich wieder. Die Wechseldruckmatratze sei „pflegewissenschaftlich überholt“, so der Pflegedienstleiter.

Aber, so sagt Oma, die Pflegerinnen prüfen das täglich und cremen ihn auch immer gut ein. Ein echter Lichtblick. Und ein Riesen-Dankeschön an diejenigen. <3

Urinbefleckte Bettwäsche wird nicht gewechselt

Wenn meine Oma aufgewühlt ist – und das ist sie wegen o.g. Vorkommnisse in jüngster Zeit recht häufig – dann bekommt sie den Verschluss ihres Katheters manchmal nicht richtig zu. Folge: Urin läuft aus und ins Bett. Um 5 Uhr morgens fragte sie, ob man ihre Bettwäsche wechseln könne. Um 16:30 Uhr habe ich das dann gemacht.

Omas Behandlung wird verschleppt

Omas Herz ist nach dem Infarkt 2005 sehr schwach und wird schwächer. Der Kardiologie-Professor sagte, sie bräuchte statt des zweiadrigen einen dreiadrigen Herzschrittmacher. Allerdings hat meine Oma resistente Keime in der Blase und am Katheter-Ausgang im Bauch.

Damit sie trotzdem operiert werden kann, muss eine Prognose von der Hausärztin über die Entwicklung der Keime abgegeben werden. Erst dann kann der Operateur entscheiden, wann und mit welchem Aufwand Oma einen neuen Schrittmacher bekommen kann.

Für diese Prognose sind allerdings zwingend regelmäßige Abstriche und Urinproben nötig. Und genau die wurden bis neulich nicht oder nur sehr unregelmäßig abgenommen. Was soll das?

Keine schriftliche Kommunikation

Ich arbeite in Vollzeit, ich kann während der Arbeitszeit im Großraum nicht einfach lange privat telefonieren und will solche Dinge nicht halb-öffentlich besprechen. Darum ist die eMail mein bevorzugtes Kommunikationstool.

Aber nicht nur darum: Nach zwei Jahren stets sehr netter, aber regelmäßig leider weitgehend wirkungsloser Gespräche mit drei (!) verschiedenen Heimleitungen will ich einfach verbindliche, schriftliche Aussagen haben. Und genau die will man nicht machen. Warum wohl?

Das Schlimmste an all dem ist die grenzenlose Hilflosigkeit.

Meine Schwester und ich wollen nicht, dass Oma und Opa unter unserem Einschreiten zu leiden haben. Aber wie sollen wir es auffassen, wenn der Pflegedienstleiter mal wieder unaufgefordert und unangemeldet in Omas Zimmer steht – obwohl ich ihn schriftlich bat, das nicht mehr zu tun – ihr die Hand auf die Schulter legt und sie „unser Sorgenkind“ nennt?

Wir haben versucht, mit der Einrichtung schriftlich zu kommunizieren – ohne echten Erfolg. In der letzten Mail heißt es:

„(Es) ist Grundsatz unserer Arbeit, dass insbesondere die täglichen Fragestellungen zur Pflege und Betreuung, auch wenn diese mit Angehörigen erörtert werden, stets persönlich, jedenfalls aber fernmündlich im Gespräch besprochen werden. Nach unserer Erfahrung können so Missverständnisse vermieden und Lösungen gemeinsam erarbeitet werden.“

Genau das haben wir zwei Jahre lang probiert. Ohne langfristige Erfolge.

„Zudem ist es schlicht und einfach auch so, dass die Beantwortung von schriftlichen Anfragen einen derart hohen Zeitaufwand verursacht, dass wir Gefahr liefen, unsere eigentliche Aufgabe, nämlich die sorgsame Pflege und Betreuung unserer Bewohner zu gewährleisten, vernachlässigen müssten (…) Natürlich haben wir Verständnis für Ihre berufliche Situation, bitten im Gegenzug aber auch um Verständnis dafür, dass die Pflege und Betreuung unserer Bewohner und nicht zuletzt auch Ihrer Großeltern im laufenden Betrieb zunächst für uns Vorrang haben muss.“

Die Heimleitung bzw. Verwaltung kümmert sich doch gar nicht persönlich um die Pflege. Soll das also so vielleicht was wie eine verkappte Drohung sein?

Man möchte mir aber eigentlich auch grundsätzlich nicht wirklich Infos geben:

„Aus unserer Sicht dient daher die Kommunikation mit Ihnen lediglich Ihrer Information (…) Von daher bitten wir um Verständnis dafür, dass wir die von Ihnen schriftlich an uns gerichteten Fragen in dieser Form nicht beantworten können. Dies auch, da es sich dabei um höchstpersönliche, medizinische Auskünfte handelt, die wir grundsätzlich nur gegenüber unseren Bewohnern oder entsprechend bevollmächtigten Personen erteilen dürfen.“

Ich hole dann wohl mal die Betreuungsverfügung und Vorsorge-Vollmacht aus der Schublade.

Und man ist offenbar auch ein bisschen pikiert über meinen/ unseren wiederholten Widerspruch:

„Ich darf mir den Hinweis erlauben, dass ich Ihren wenig verdeckten Hinweis darauf, Sie hätten sich bereits Rechtsrat eingeholt, äußerst unpassend finde. Selbstverständlich steht es Ihnen im Rahmen ihrer Befugnisse jederzeit frei, sich an die zuständigen Ordnungsbehörden oder auch einen Rechtsanwalt zu wenden. Im Interesse Ihrer Großeltern würde ich dann allerdings darum bitten, dass Sie konkrete Vorwürfe erheben und aufzeigen (…)“.

Ich wollte bloß wissen, in welchem rechtlichen Rahmen wir uns bewegen, was unsere Rechte und auch Pflichten sind und nachdem man mir nach etlichen Versuchen einfach nicht geantwortet hat – was hätte ich tun sollen? Ich protokolliere inzwischen alle Geschehnisse. Aber ob das reicht?

Zusätzlich habe ich beim Beschwerdetelefon Pflege nachgefragt. Dort sagte man mir: „Natürlich sollte die Einrichtung auf Ihre schriftlichen Anfragen antworten.“ Macht sie nicht.

Ich habe mich dann auch noch mal an die Wohn- und Pflegeaufsicht gewandt, die ja bereits einmal dankenswerterweise wegen der Medikamentenverwechslung zur Kontrolle kam. Die Reaktion: „Das ist wirklich unschön, so soll das nicht laufen.“

Aber dann hieß es: „Kann ja mal passieren in so einem Betrieb (…) Es kann nicht alles bilderbuchmäßig laufen, auch Zuhause nicht.“ Und schließlich: „Dass die Situation mit Personal generell überall prekär ist, das ist ja nun bekannt (…) Aus Mitarbeitersicht ist es genau so schwierig, wenn einem jemand ständig auf die Finger guckt. Jeder Mensch macht in der Arbeit Fehler.“

Ach so. Entschuldigung. Ich wollte natürlich die Mitarbeiter*innen nicht damit stressen, meinem Opa seine richtigen Medikamente zu geben oder so. Vor allem immer wieder. Pflege als Angehörige bedeutet offenbar, schön leise zu sein und nicht immer wieder anstrengende Fragen und Forderungen zu stellen.

Man stelle sich derartiges Verhalten mal in einer typischen Großstadt-Kita vor. Der Leon bekommt beinahe Erdnüsse – trotz Allergie; die Karla hat mehrfach Rosinen im Müsli – trotz ausdrücklichen Zuckerverbots; und Friedrich muss stundenlang in seiner nassen Windel rumlaufen. Was da los wäre!

Also.

Es gibt einen Unterschied dazwischen, ob Opa zu lange auf dem Toilettenstuhl sitzt, ob seine Ohren geputzt, Fuß- und Fingernägel geschnitten sind, die Betreuerin ein oder zweimal in der Woche mit ihm Mensch-Ärgere-Dich nicht spielt – oder ob ihm falsche Medikamente gegeben werden.

Es gibt auch einen Unterschied dazwischen, ob Oma das kalte Essen nicht schmeckt, ihr die unregelmäßige Uhrzeit der Medikamentengabe nicht passt – oder ob ein lebenswichtiger Eingriff verschleppt wird, weil die Einrichtung keine regelmäßigen Abstriche macht.

Ich weiß nicht, ob es an der neuen Heimleitung liegt oder einfach daran, dass wir nach zwei Jahren des Diskutierens und auf Fehler Hinweisens mürbe sind. Aber so geht es nicht weiter. Oder um es mit den Worten der Wohn- und Pflegeaufsicht zu sagen: „Das Vertrauensverhältnis scheint zerrüttet. Es wäre wohl vernünftig, einen neuen Platz zu suchen.“ In der Tat.

Wir schauen uns jetzt mal ergebnisoffen um. Auch, wenn nicht klar ist, ob ein neues Pflegeheim wirklich besser sein wird. Hoffnung besteht.

Und wenn das Vertrauen so zerstört ist, was bleibt dann noch?

PS: Das Pflegeheim hat die MdK-Note 1,3…

Nur darauf kann man sich bei der Pflege als Angehörige definitiv nicht verlassen.

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