Was pflegende Angehörige alles durchstehen, darüber spricht man kaum. Aber die Romantisierung von Pflege kann problematisch sein. Für alle.
Ich gehe durch schummrige, endlose Flure mit immer gleichen Türen rechts und links. Der Linoleumboden quietscht unter meinen Turnschuhen. In der Ferne leises Ächzen, die Luft riecht nach Urin. Über mir flackert eine Neonlampe, bevor sie verlischt. Mein Herz rast. Ich bin in einem Krankenhaus auf der Suche nach Omi und Opi, aber ich kann sie einfach nicht finden. Aber ich muss! Ich rufe nach ihnen. Keine Antwort.
Dann wache ich mit nassen Augen auf. Mein Herz rast auch in echt.
Omi ist im September 2016 gestorben, Opi im April 2017. Und obwohl das mit den beiden, der Pflege und dem Pflegeheim schon Jahre her ist, träume ich immer noch manchmal davon.
Denn jemanden, den man von ganzem Herzen liebt, zu pflegen – das ist verdammt hart. Und kann nachhaltig traumatisierend sein.
Angehörigenpflege sorgt emotionale Belastung. Laut einer Befragung im Rahmen des Projektes „Zielgruppenspezifische Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige“ (ZipA) fühlen sich 72 Prozent der Teilnehmenden psychisch stark durch die Pflege belastet.
Doch was pflegende Angehörige so alles durchmachen, auch Jahre später noch, das versickert irgendwie. Sie führen ein verklärtes Schattendasein.
Schließlich gilt Pflege als ultimative Geste der Liebe. Wer liebt, der*die wischt auch den Po ab, cremt ein, reicht an, telefoniert, schreibt, begleitet, betreut, lässt sich auch mal beschimpfen, hält Frust aus. Liebe überwindet ja schließlich alles. Geliebte Menschen zu pflegen, das gilt als Selbstverständlichkeit. Im Umkehrschluss gelten Menschen, die das nicht machen (können), oft als herzlos. Zu Unrecht, versteht sich.
Dass es laut Zipa-Befragung rund 80 Prozent Frauen sind, die die Pflege von Schwieger-, Groß- und sonstigen Eltern, von Nachbar*innen und engen Freund*innen übernehmen – geschenkt. Unbezahlt, weil ist ja Kümmern und das liegt Frauen angeblich im Blut. Außerdem macht man das doch gern. Oder?
Pflegende Angehörige sind nur Menschen
Ich verstehe das. Ich kenne das. Man will ja. Aber ich weiß auch: Es macht einen fertig. Es macht die Haare grau und das Herz mürbe. Es macht müde, unendlich müde, und wütend, so wütend. Es saugt Lebenskraft aus, die nie wieder zurückkommt.
Angehörigenpflege wird in unserer Gesellschaft romantisiert. Doch sie hat nun mal Grenzen. Es wird Zeit, das anzuerkennen.
Auch Omi, selbst schwer herzkrank, hat lange versucht, Opi mit seinem Parkinson und seiner Demenz zu Hause zu pflegen. Sie war überfordert, wollte aber auf keinen Fall aufgeben. Sie wollte Opi nicht im Stich lassen. Oder, wie sie selbst gesagt hat: „Der Mensch ist doch kein Kodder, man kann ihn nicht einfach so wegwerfen.“
Nur hat das mit Wegwerfen nichts zu tun. Omi konnte nicht mehr schlafen, Opis Demenz hat ihr keine Ruhe gelassen. Sie wäre daran fast selbst zu Grunde gegangen. Dass Pflegende Angehörige bis zur Selbstaufgabe und weit über die eigene Belastungsgrenze hinaus pflegen, tut niemandem gut. Weder ihnen selbst, noch den zu Pflegenden.
Schlimm und schön – geht beides
Selbstverständlich ist die Situation in der Pflege – insbesondere in Pflegeheimen – alles andere als optimal.
Aber natürlich gab es in der Zeit der Pflege von Omi und Opi auch schöne, innige, liebevolle Momente. Zum Beispiel, wenn ich mit Opi im Rollstuhl zum Imbiss bin, Hähnchen und Pommes mit Mayo und Ketchup holen. Wenn er mich beim Mensch-Ärgere-Dich-Nicht eisenhart abgezogen hat. Wenn ich mich mit Omi schief gelacht habe – meist über Opi. Oder als wir alle zusammen Weihnachten im Pflegeheim gefeiert haben und Opi „Stille Nacht“ gesungen hat.
Liebe ist unbeschreiblich wichtig und der Kern von allem. Aber pflegende Angehörige sind keine stillen Held*innen. Sie sind einfach nur Menschen. Mit allem, was dazu gehört: den Gefühlen von Verzweiflung, Schmerz, Frust und Wut; den Bedürfnissen nach Ruhe, Auftanken, Freiheit und Selbstbestimmtheit.
Es ist okay, nicht mehr zu können und Hilfe und Unterstützung zu suchen. Es ist okay, wütend zu sein. Es ist okay zu sagen „Ich kann nicht mehr, ich brauche eine Pause“. Und es ist okay zu sagen: Ich habe meine Großeltern mehr geliebt als alles auf der Welt, aber die Verantwortung für ihre Pflege war mitunter die Hölle.
Und trotzdem bin ich froh, dass wir diesen Weg zusammen gegangen sind. Ja, Gefühle sind komplex und vielschichtig, sie können gleichzeitig stattfinden und übereinander liegen wie mehrere Decken.
Wenn ihr die ganze Geschichte von mir als pflegender Angehörigen und Omi und Opi lesen wollt – sie steht hier in diesem Buch „Wir geben Opa nicht ins Heim – unser Jahr zwischen Wunsch und Wirklichkeit“. Ich freue mich immer noch über jede Review und jedes Feedback! <3
Und hier ist ein kleines Video zu Omi und Opi und ihrer Geschichte:
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PS: Ich bin freie Journalistin, Autorin und Studierende und das Betreiben dieses Blögchens kostet – genau wie alles andere im Leben – ein wenig Geld. Wer also mag, kann hier via Paypal ein bisschen Trink-, äh, Schreibgeld dalassen. Dankeschön! <3
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Ich bin ganz bei der Enkelin! Es ist nur ganz starken Menschen eine gewisse Zeit gegeben ihre Angehörige zu pflegen. Mein Papa ist 2008 im Dezember gegangen im Alter von 89. Einige Jahre habe ich weiter meine Schwiegereltern begleitet, mit Unterstützung eines guten Pflegedienstes. Schwiegermutter ist kurz nach neinem Burn aut 2010 gegangen. Schwiegervater Ein ich bezogenen Mann der weiterhin alleine im Haus lebte benötigte auch Hilfe lehnte aber den pflegedienst, bis auf Medikamente stellen und einmal die Woche Hilfe beim Duschen ab. Er starb im Krankenhaus bei der ergänzenden mobilität bringenden Behandlung nach einer Erkrankung, über Nacht. Jetzt ist meine Mama 93 und benötigt seit ein paar Jahren meine Hilfe. Ich verstehe was Angehörige durchleben, und bewundere jeden der sich dem liebevollem Umgang mit zu pflegenden angehörigen stellt . Liebe grüsse an alle!