Sie kommen mit Wucht, wenn auch nicht gänzlich überraschend. Man weiß, dass es sie gibt irgendwo, man hat sie länger nicht gesehen. Aber dann stehen Trauer und Schmerz plötzlich hinter dir, umklammern dich, werfen dich aufs Bett und das war’s erst mal.

Ich weiß nicht mehr, wie viele Tage genau ich im Bett lag, aber ich konnte einfach nicht richtig aufstehen. Und mit richtig aufstehen meine ich: Duschen, anziehen, beschwingt die Treppenstufen hinab hüpfen und munter Dinge erledigen. Nein, ich konnte hauptsächlich liegen. Mal zusammengekrümmt, mal auseinandergefaltet, mal schluchzend, mal stumm. Netflix und no chill mit Erkältung, Trauer und Schmerz.

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Es gibt immer wieder Phasen, in denen das Leben schlechter funktioniert. In denen Trauer und Schmerz nach oben hin anschwellen, bis sie schließlich druckvoll aus der tiefsten Ecke der Seele heraussprudeln und alles umspülen. Da hilft nur am vollgeschnodderten Kissen festklammern und aushalten. Das gehört dazu, schätze ich.

Trauer und Schmerz kommen immer wieder

Von meinem Bett aus kann ich den Himmel sehen und die Wolken. Und ich habe versucht Omi zu finden auf Wolke Sieben. Schließlich hatte ich sie vor ihrem Tod gefragt, was ich denn wohl ohne sie machen soll, wenn es mir mal nicht gut gehen würde. „Ach, dann komme ich einfach von Wolke Sieben runtergerutscht“, hat Omi gesagt. Aber wie soll das gehen, wenn ich sie nicht mal sehen kann? Und woran erkenne ich Wolke Sieben überhaupt?

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Vor ihrem Tod hatten wir außerdem vereinbart, dass Omi auf keinen Fall bei mir spuken kommen soll. Aus Rücksicht und so. „Ich nehme alles zurück, Omi. Du darfst bei mir spuken kommen. Schmeiß doch nur kurz eine Kerze um oder so,“ flüstere ich und starre auf die Kerze auf der Kommode. Nichts.

„Also, meinetwegen kannst du auch klopfen, wenn das für dich irgendwie leichter ist.“ Omas Mutter hat nämlich damals zum Zeitpunkt ihres Todes an Omas Tür geklopft. So zumindest lautet die Familien-Folklore. Und Omi ist eben wahrscheinlich noch nicht sehr erfahren im Spuken, da ist klopfen bestimmt weniger anstrengend als eine Kerze umzuschubsen. Ich werde ganz still und lausche angestrengt. Doch außer dem Kreischen der Möwen vor meinem Fenster höre ich nichts.

Großes Glück, trotz allem

Irgendwann haben Trauer und Schmerz schließlich genug rumgelegen und schleichen davon, ohne tschüs zu sagen. Die Sonne kämpft sich durch die Wolken und trocknet meine heulgeschwollene Nasenspitze.

Ich habe großes Glück. Damit, dass ich noch am Leben bin. Damit, dass ich meine Großeltern so lange hatte und wir uns so lieb hatten. Damit, dass es auf der Welt einen Menschen gibt, der mein Herz kennt und in der Not immer für mich da ist – egal, wie viele Ewigkeiten wir nichts voneinander hören. Damit, dass ich fantastische und verständnisvolle Freunde habe – in Deutschland und in Schottland – die mich nie unter Druck setzen und mich so nehmen, wie ich bin.

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Es sind diese Freunde, die mich zu ihrem Album-Release-Konzert mitnehmen, die mich fragen „How yer holdin up?“ und sich aufrichtig freuen, dass ich tatsächlich dem Bett gekommen bin. Es gibt laute Gitarren, Paillettenkleider, Dosenbier, Kasatschok, zauberhafte Komplimente, ehrliches Lachen und einfach sehr viele sehr herzliche Menschen. Trauer und Schmerz haben hier keine Chance. Bis zum nächsten Mal.

Aber das ist okay. Die Abstände werden größer.


In meinem Buch Wir Geben Opa Nicht ins Heim habe ich die ganze Geschichte von Omi, Opi und Pflegebedürftigkeit aufgeschrieben:


PS: Ich bin freie Journalistin, Autorin und Studierende und das Betreiben dieses Blögchens kostet – genau wie alles andere im Leben – ein wenig Geld. Wer also mag, kann hier via Paypal ein bisschen Trink-, äh, Schreibgeld dalassen. Dankeschön! <3

 

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