Noch bevor ich die Augen aufmache, höre ich seine Gitarre. Luis‘ Mädchenfinger kratzen sachte über die Saiten. Er sitzt auf dem Balkon, hinter ihm glitzert der opalblaue Atlantik. Auf dem runden Tischchen steht Frühstück: frischer Kaffee, frische Mango. Ich lächle verschlafen, sein Bart lächelt zurück. Welcome to Miami. 

Seit vier Tagen leben mein Couchsurfinghost Luis und ich in seiner Zweizimmerwohnung in einer eheähnlichen Gemeinschaft, seit meiner Ankunft in dem cremefarbenen 60er-Jahre Apartmentkomplex am Ocean Drive in Miami Beach waren wir kaum eine Minute getrennt. Außer, wenn wir schliefen – er in seinem Doppelbett, ich auf der Couch mit der pieksigen Federkernmatratze. Ehe eben.

Über den Rand meiner Decke hinweg mustere ich ihn. Keine Frage, er ist attraktiv – mit seinen Bambi-Wimpern, dem Fünftagebart, seinen Zauselhaaren und der bronzefarbenen Haut. Aber er ist rein physische gesehen die Hälfte von mir. Und ich finde ihn insgesamt so süß wie ein Furby. Da geht nichts. Keine Chance.

Er merkt sich, was ich mag

„Guten Morgen, Bella.“ Behutsam stellt er seine Gitarre beiseite und reicht mir den Kaffeebecher.
„Nenn mich nicht Bella – es sei denn, du stehst drauf, wenn ich dich Edward nenne.“ Wir kichern in unseren Kaffee. Er ist recht stark, aber Luis hat viel Milch und Zucker reingetan. So wie ich es mag.

Wir sind beide ein bisschen verkatert, das haben wir der zweidrittel leeren Flasche Stolichnaya Elit auf dem Wohnzimmertisch zu verdanken. Wir tranken den Wodka pur auf Eis und diskutierten hitzig über Bildungssysteme, Eliten, Weltwirtschaft und ja, auch über die Liebe; wir fabulierten über 9/11-Verschwörungstheorien, die Illuminaten, ungerechte Eigentumsverteilung und fanden promilleschlau berückend plausible Wege zum Weltfrieden, an die sich heute leider keiner mehr erinnern kann. Sein grünschillernder Kampffisch Racumin in der Aquariumkugel zwischen uns, schlafend an eine Alge gelehnt.

Und dann gingen wir exzessiv Salsa tanzen. Zur Live-Musik einer kubanischen Altherren-Band, irgendwo in Downtown Miami. Ich zunächst mit einem athletischen Glatzkopf im transparenten Hemd mit Paillettenapplikationen, Luis mit einem Longdrink an der Bar. Mit ihm habe ich den wohl einzigen Latino erwischt, der nicht tanzen kann. Aber Komplimente, die kann er. „Dein Lächeln… es ist wunderschön, so strahlend. Es fühlt sich an wie eine warme Dusche.“

Streetart und Salsa in Miami

Nun sitzen wir uns am selben Tisch einträchtig schweigend gegenüber, der zwei Jahre jüngere Videoproducer und Screenwriter und ich, und schreiben. Racumin schwimmt agil im Kreis.

„Was würdest du heute gern unternehmen? Hast du Lust zu…“ Von Miami Beach, dieser fettfreien Packung Joghurtgums mit Karibikflavor, habe ich genug gesehen. Deshalb falle ich ihm ins Wort und quietsche: „Streetart!“ Ich klappe mein Netbook zu und schlüpfe in meine Sneakers. Es ist mein letzter Tag in Miami und ich will was anderes als pastelliges Art Déco, prollgelbe Mietferraris, Oben-Ohne-Jogger und Strand.

Wir leihen uns Hollandräder und fahren Richtung Wynwood District, dem Hipster- und Künstlerviertel Miamis. Wie überall vormals ein Gewerbe- und Industriegebiet mit Fabrik- und Lagerhallen, inzwischen ein Kreativzentrum mit durchaus renommierten Galerien. Aber mich interessiert nicht das, was IN den Hallen ist, sondern ihre Außenwände – Leinwände für Graffitikünstler. Nach einer Dreiviertelstunde kommen wir an, der Geruch von Barbecue mischt sich mit dem frischer Farbe. Ein Mann, etwas älter als wir, hockt vor einem halbfertigen Bild Salvador Dalís und sprüht dessen gezwirbelte Bartspitze. Ich stehe dahinter und staune. Meine Kamera lasse ich an, ausschalten lohnt nicht.

Zum Abschied Königsberger Klopse

„Ich glaube, wir sind soeben Teil eines Rapvideos geworden.“ Luis grinst mir über seine Schulter zu und deutet auf einen Kerl im weißen Honda Cabrio mit orangefarbenem Interieur schräg vor uns. Er trägt Tattoos und Wifebeater, auf dem Beifahrersitz thront sein grauer Pitbull und guckt mürrisch. Daneben steht ein fetter, schwarzer Teenie im weißen T-Shirt mit einer ziemlich großen lebendigen Echse am Bauchlappen. Hinter dem Honda hält ein anderer Typ eine Kamera auf die Szene. Und wir ruinieren mit unseren gemieteten Hollandrädern einfach so die ganze Streetcredibility.

„Das ist im Grunde eine ziemlich miese Gegend, weißt du. Vor einer Woche sind ein paar Gangster aus der Ecke hier in eine der Galerien rein, mit Waffen, und habe alle Besucher ausgeraubt. Erschossen aber glaub ich niemanden.“ Luis erzählt das leichthin, aber ich bin ein bisschen froh, als wir schließlich nach Hause radeln.

Und denke beklommen: Ich Weichpupe. Wie soll denn das bloß erst später in Rio werden?

Zum Abschied koche ich für ihn Königsberger Klopse nach Omas Originalrezept und wir versprechen uns bei einem Gläschen Scotch hoch und heilig, unbedingt „in touch“ zu bleiben. Ich war jedoch schon mal verheiratet, ich glaube nicht mehr an Versprechen. Aber ich habe hier ja auch keinen Ehemann gefunden. Sondern einen Freund.

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